Welt in Splittern

„Ein Kind unserer Zeit“ von Ödön von Horváth in den Kammerspielen des DT

Unsere Zeit ist es freilich nicht mehr, die hier verhandelt wird. 1937 schrieb Horváth den Roman „Ein Kind unserer Zeit“ über das Leben eines jungen Mannes in Nazi-Deutschland. „Ich bin Soldat“, so hebt das an, „und – ich bin es gern.“ Am Ende wird er es nicht mehr gern sein; als Kriegsversehrter wird er herausfallen aus dem sozialen System, in dem er Geborgenheit suchte. Aber ein Entwicklungsroman entsteht nicht. Horváth beschreibt keinen Prozess der Reifung, sondern einen der Desillusionierung und darin die Hilflosigkeit des Einzelnen in einer künstlich geordneten Welt. Der junge Mann ist von außen bestimmt und darin ganz einsam, er hat nur sich selbst und ist doch niemand. Das phrasenhafte Vokabular des NS-Alltags spricht naiv aus seinem Mund.

Guntram Brattia hat diesen Roman nun an den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszeniert. Am Anfang kauert Tom Quaas in hockender, fast embryonaler Stellung auf dem Boden, dann ringt er sich aus seiner Kleinheit laut aufstöhnend hoch in eine zackige Haltung, ja, so will er sein, da er nicht weiß, wer er ist, und macht sich noch ein wenig größer, indem seine Hand zum Hitlergruß himmelwärts fährt. Später turnt er auf einem großen, leicht schief gestellten Eisengestell herum, das der Aktion ein Oben und ein Unten bietet (Bühne Hans-Jürgen Nikulka). Oben ist der Boden schmal und löcherig, nur ein umlaufender Rand, zum Abstürzen geeignet. Die Position der Menschen zueinander lässt zwischen ihnen lange Diagonalen entstehen, eine heillose Distanz, die abgelöst wird von einer traurigen, ratlosen Nähe.

Aber Guntram Brattia, selbst Mitglied im Ensemble des Deutschen Theaters, der nun, nach dem Abgang der beiden Kammer-Leiter Stefan Otteni und Martin Baucks, seine erste Regiearbeit vorstellt, hält zu ängstlich fest am Text, sucht noch nach dem Handlungsfaden, mit dem Horváth selbst nur mühsam die verstreuten Fragmente zusammengebunden hat. Über zu große Strecken muss Quaas immer wieder reden und erklären, was doch als expressionistischer Albtraum daherkommen sollte, in dem uns die Welt in Splittern entgegentritt. In kleinen Dingen wird die Inszenierung konkret, im Großen findet sie ihren Rhythmus nicht.

Dass Guntram Brattia den Stoff nicht neonazistisch aktualisiert, ist dagegen eher als seine Stärke zu verstehen.

REGINE BRUCKMANN

Nächste Vorstellungen: 24. 5. und 2. 6., 20 Uhr