Berlusconi taktiert wie wild

In Italien findet am Sonntag ein Referendum zur Wahlrechtsreform statt. Die Gegner – kleine Parteien und die derzeit starke Forza Italia – rufen zur Stimmenthaltung auf. Nun entscheidet die Höhe der Wahlbeteiligung über Ja oder Nein

aus Rom MICHAEL BRAUN

Zu einem „kommunistischen Referendum“ sei Italiens Wahlvolk am kommenden Sonntag aufgerufen, zu einer „betrügerischen Veranstaltung“, die es zu boykottieren gelte – so tönt es dieser Tage landauf, landab von Oppositionsführer Silvio Berlusconi. Mit Kommunismus allerdings hat der bunte Strauß von gleich sieben Fragen, über die die Wähler entscheiden werden, nichts zu tun. Da geht es um die vom Unternehmerverband heiß favorisierte Aufweichung des Kündigungsschutzes von Arbeitnehmern, um die Trennung der Laufbahnen von Richtern und Staatsanwälten (die auf die Unterminierung der politischen Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften zielt), um die Abschaffung des automatischen Einzugs der Gewerkschaftsbeiträge von Rentnern durch die staatliche Rentenversicherungsanstalt – lauter klassische Berlusconi-Anliegen also.

Gar nichts liegt Berlusconi dagegen an dem einen zur Abstimmung stehenden Punkt, der in den letzten Wochen die politische Auseinandersetzung dominierte: die Wahlrechtsreform. Bisher wurden drei Viertel der Sitze im Abgeordnetenhaus über das Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen vergeben; ein Viertel dagegen ging nach Proporz an die Vertreter der Parteilisten. Per Referendum soll nun die Zuteilung jener Sitze durch Verhältniswahlrecht gestrichen und so ein reines Mehrheitswahlrecht à la Großbritannien erzwungen werden.

Es überrascht kaum, dass in dieser Auseinandersetzung das Schema „links – rechts“ und die Zugehörigkeit zu Regierung oder Opposition keine Rolle spielt. Die Befürworter des Referendums sind die stärkeren Parteien, die Linksdemokraten genauso wie die rechte Alleanza Nazionale. Gegen das Mehrheitswahlrecht fechten dagegen in fast geschlossener Front die zahlreichen Klein- und Kleinstparteien: Rifondazione Comunista, die rechtspopulistische Lega Nord, die vielen christdemokratischen Splitterlisten des Regierungs- wie des Oppositionslagers. Ihr Ziel ist – nach einem Scheitern des Referendums – die Durchsetzung eines reinen Proporzsystems.

Die Motive der um ihr Überleben besorgten „Kleinen“ liegen auf der Hand; rätselhaft ist dagegen vielen Italienern, warum Silvio Berlusconi mit seiner zur Zeit in der Wählergunst klar vorn liegenden Forza Italia gegen ein Mehrheitswahlrecht zu Felde zieht, das seinem Rechtsblock im nächsten Jahr einen wahren Erdrutschsieg bescheren könnte. Vordergründig geht es Forza Italia darum, den Linksdemokraten nach den Regionalwahlen vom April und den Europawahlen von 1999 die dritte Schlappe in Folge beizubringen, die Mitte-links-Regierung Amatos „nach Hause zu schicken“ (Berlusconi), und in baldigen Neuwahlen an die Macht zurückzukehren. Zugleich aber will Berlusconi mehr: sich endgültig aus der Umklammerung durch seinen rechten Bündnispartner, die postfaschistische Alleanza Nazionale, befreien. Das Mehrheitswahlrecht zwänge Forza Italia zu einem dauerhaften Bündnis mit der Rechten; bei einem Proporzsystem nach deutschem Vorbild dagegen hätte Berlusconi die Hände frei und könnte Koalitionen nach allen Seiten hin schmieden, rechts genauso wie mit den Mitte-Parteien des Regierungslagers.

Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich allein an der Wahlbeteiligung entscheiden. Sämtliche Gegner des Referendums nämlich rufen zur Stimmenthaltung auf. Die Ja-Stimmen werden deshalb klar überwiegen und doch womöglich nutzlos sein. Denn wenn mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten zu Hause bleibt, ist der Volksentscheid annulliert – wie schon das letzte Wahlrechtsreferendum, das im April 1999 mit einer Wahlbeteiligung von 49,8 Prozent durchfiel.

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