Rote Pfeile ins grüne Herz

Die SPD schreibt sich den Frust von der Seele. Die Grünen schmollen ob der Provokationen. Hat sich Clement etwa schon für die FDP entschieden?

aus Düsseldorf PASCAL BEUCKER

Es könnte fürs grüne Herz geschrieben sein: Die Grünen seien „bestrebt, die Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe mit Vetoposition, insbesondere bei wirtschaftlichen Fragen, auszubauen“, heißt es. Sie verträten die Ansicht, Straßen gebe es genug, und auch die Flughäfen des Landes dürften nicht weiter ausgebaut werden. Gegen den Braunkohletageabbau Garzweiler II wollten sie „weitere Störpotenziale“ aufbauen. Die Förderung der Gentechnik blockierten sie und gefährdeten den Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage in Gronau. Zur Ausländerpolitik heißt es, sie bedeute „für die Grünen eine aktive Integrationspolitik“.

Sechzehn Seiten Frust der SPD

Was klingt wie aus einer grünen Broschüre zur Rückgewinnung realpolitisch verschreckter Wähler, stammt aus einer Schrift mit dem Titel „Konfliktpunkte“, in dem die sozialdemokratischen Minister auf 16 Seiten ihren Frust über fünf Jahre Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen zusammengefasst haben.

Das Papier geht zurück auf einem Beschluss der SPD-Mitglieder im Landeskabinett vom Dienstag. Jedes der sieben sozialdemokratischen Ressorts bekam die Aufgabe, sechs Punkte aufzuschreiben, bei denen die Grünen aus ihrer Sicht für Ärger sorgen. Das Papier wurde länger: Statt der geforderten 42 listet es nun rund 80 Dissenspunkte auf. Die Botschaft: Die Grünen blockieren, wo es nur geht.

Ist damit Rot-Grün perdu? Hat sich Ministerpräsident Wolfgang Clement insgeheim bereits für die FDP entschieden? In der Düsseldorfer Staatskanzlei wird das heftig dementiert. Das Papier sei eine „ganz normale Vorbereitung“ auf die Gespräche. „Der will das mit den Grünen“, sagte ein Mitglied der Staatskanzlei zur taz. Aber Clement wolle nicht mehr eine Koalition wie die vergangene. Und: „Der will ganz schnell zum Ziel kommen, das ist alles.“ Das Papier zeige nur, „wo es langzugehen hat“.

Auch das Treffen Clements mit FDP-Landeschef Jürgen W. Möllemann werde völlig überbewertet. Alle zerrissen sich das Maul, aber niemand frage sich, „ob es nicht vielleicht klug ist, mal eine Preishöhe unter vier Augen zu erfahren, für den Fall, dass es schief geht.“ Denn wenn es doch nicht mit Rot-Grün klappe, sei schließlich „Clement derjenige, der zu Möllemann kriechen muss“.

In der Staatskanzlei ist man sich nicht sicher, ob der knappe Stimmenvorsprung von Rot-Grün bei der Wahl des Ministerpräsidenten tatsächlich reichen wird. „Das ist alles sehr, sehr eng“, so ein Clement-Vertrauter. Bei den Kröten, die die Grünen in den Koalitionsverhandlungen werden schlucken müssen, könne niemand sicherstellen, dass nicht doch der ein oder andere seinen Frust in der Wahlkabine ablade. Wenn nur vier Grüne sich gegen Clement entschieden, fällt er durch. Wahrscheinlich reichen noch weniger: Nach einem schweren Autounfall wird eine SPD-Parlamentarierin wohl nicht bei der bislang für den 21. Juni geplanten Wahl dabei sein können.

Im SPD-Landesvorstand geht man davon aus, dass Clement an Rot-Grün festhalten wird. Mit dem Möllemann-Auftritt habe Clement lediglich das Klima in der Partei ausloten und testen wollen, wie viel Gegenwehr es gibt, sagt ein SPD-Landesvorstandsmitglied. Auch wenn es in der traditionell konservativeren SPD-Landtagsfraktion nicht wenige gäbe, die die Grünen am liebsten zum Teufel schicken würden, gibt es „im Vorstand keine Mehrheit für Rot-Gelb, das weiß Clement“. Alle sozialdemokratischen Bezirksvorsitzenden haben sich für eine Fortsetzung von Rot-Grün ausgesprochen. SPD-Landesparteichef Franz Müntefering betonte denn auch gestern nochmals, seine Partei wolle „ernsthafte Verhandlungen“ mit den Grünen führen.

Die Grünen trauen Clement nicht

Die sind trotzdem nervös. Sie trauen Clement nicht und befürchten, er könne sich doch letztendlich für die Liberalen entscheiden. „Das können wir gut aushalten“, versucht die Grünen-Landtagsfraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann betont Gelassenheit zu demonstrieren. Die „so genannte Mängelliste“ sage „nichts über die Arbeit in den genannten Ministerien aus, aber viel über die Autoren“. Da hätten sich anscheinend „Leute ohne entsprechenden Fachverstand vorgenommen, auf Teufel komm raus Dollpunkte in die Welt zu setzen“. Bärbel Höhn wird deutlicher: „Tägliche neue Provokationen“ aus der SPD seien keine gute Ausgangsposition für die Koalitionsverhandlungen. „Es kann nicht sein, dass ein Partner dauernd gepresst wird.“ Damit reagierte die Grünen-Politikerin auch auf einen Bericht des Kölner Express. Danach stehe bereits fest, dass die Umweltministerin die Verantwortung für Raumordnung und Landesplanung an ein „Infrastrukturministerium“ abgeben müsse. In diesem neuen Mega-Ministerium sollten zusätzlich noch die Bereiche Verkehr, Technologie, Stadtentwicklung und Wohnungsbau zusammengefasst werden. Damit wäre auch das Bauministerium des zweiten Grünen-Ministers Michael Vesper wegrationalisiert. Höhn solle als Ausgleich neben Umwelt und Landwirtschaft die Zuständigkeit für den Gesundheitssektor erhalten – eine Art Verbraucherschutzministerium. In der Staatskanzlei wird der Bericht als „reine Spekulation“ bezeichnet. Über den Zuschnitt der Ministerien und Personalien werde erst ganz am Schluss geredet, hieß es. Allerdings gilt es als sicher, dass Höhns Ministerium deutlich gestutzt wird. Und Vesper wird als neuer Bildungsminister gehandelt.

Heute Mittag treffen sich die Unterhändler von SPD und Grünen zur Abstimmung des weiteren Verfahrens. Am Sonntagnachmittag werden dann die Verhandlungen aufgenommen. Obwohl sich die Grünen dagegen gewehrt haben, werden die Gespräche im Düsseldorfer Stadttor, der Staatskanzlei Clements, stattfinden. In der Staatskanzlei wird davon ausgegangen, dass bis Freitag fertig verhandelt ist.

Ein Grüner hat schon vor Beginn der Verhandlungen mit den Sozialdemokraten das Handtuch geworfen. Am Donnerstag trat der ehemalige Landtagsabgeordnete Daniel Kreutz aus der Partei aus. „Die neoliberale Wende der Grünen in Bund und Land ist irreversibel“, begründete der Parteilinke seinen Schritt.