„Der Glauben wird hier nicht verkündet“

Islamistische Gruppierungen wie Milli Görüs kommen im Modellversuch für den staatlichen Islamunterricht an Schulen in Nordrhein-Westfalen kaum zum Zug. Ein Gespräch mit dem Islamwissenschaftler Michael Kiefer, der den erfolgreichen Schulversuch sprachwissenschaftlich begleitet

Interview ISABELLE SIEMES

taz: Die Islamische Föderation in Berlin wurde vor zwei Monaten vom Bundesverwaltungsgericht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Damit darf sie bekennenden Islamunterricht an Schulen erteilen. Könnte dieses Urteil Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen haben?

Michael Kiefer: Ich glaube nicht, denn in NRW sind die rechtlichen Voraussetzungen andere. Der Religionsunterricht muss hier in staatlicher Hand liegen. Das gilt auch für die katholische und evangelische Religion. Die Kirchen dürfen die Lehrinhalte zwar mitbestimmen, aber die Ausarbeitung der Curricula und die Einstellung der Lehrer werden vom Land vorgenommen. Das Berliner Urteil wird die Diskussion anregen. Es zeigt, dass die über drei Millionen Muslime in Deutschland nicht mehr im Schulbetrieb ignoriert werden können.

Seit einem halben Jahr laufen in Nordrhein-Westfalen Modellversuche für den Islamunterricht. Träger des Versuchs ist ausschließlich das Land. Wie kommt das Projekt denn bei den Muslimen an?

Die Akzeptanz bei den Eltern ist sehr gut. Das hat mich überrascht. Bei den starken Protesten der muslimischen Verbände gegen das Projekt habe ich mit eher geringer Beteiligung gerechnet. Doch die Zahlen für die Modellschulen im Regierungsbezirk Köln und Duisburg zeigen, dass im Durchschnitt 80 Prozent der muslimischen Kinder am Islam-unterricht teilnehmen. An machen Schulen sind es sogar alle. Es scheint also von den Eltern sehr wenig Vorbehalte zu geben gegen diesen Schulversuch. Die politische Diskussion, wie sie von einigen muslimischen Verbänden geführt wird, läuft offenbar an der muslimischen Basis vorbei, weil es in ihnen mehr um die Verbandsinteressen als um die Anliegen der Eltern und Kinder geht.

Was lernen die Kids denn im Islamunterricht?

Es gibt ein didaktisches Verschränkungskonzept, bei dem Konfliktsituationen aus dem Alltag in Verbindung mit Koran-Zitaten thematisiert werden. Dann geht es auch um den Austausch der Kulturen. Gerade wurde das Opferfest, das höchste Fest der Muslime, an vielen Schulen gemeinsam mit christlichen Kindern gefeiert. Da sind richtige Feste organisiert worden – mit Geschenken und allem, was so dazugehört. Dadurch haben die anders gläubigen Kinder die Möglichkeit, muslimische Feste kennen zu lernen. Und eventuelle beiderseitige Vorurteile können abgebaut werden.

Findet die islamische Unterweisung parallel zum konfessionellen Religionsunterricht statt?

An vielen Schulen laufen die Islamstunden parallel zu evangelischer oder katholischer Religion. Er findet also nicht mehr im Nachmittagsbereich statt wie der muttersprachliche Ergänzungsunterricht. Die islamische Unterweisung wird dem Religionsunterricht insofern gleichgestellt, als die Kinder benotet werden und die Noten versetzungsrelevant sind. Anders als bei evangelischer und katholischer Religion ist die Teilnahme aber freiwillig. Die Eltern müssen ihre Kinder dazu für ein Jahr verpflichtend anmelden. Bei den Katholiken oder Evangelen nehmen die Schülerinnen und Schüler automatisch teil. Wenn sie nicht teilnehmen sollen, müssen sie von den Eltern abgemeldet werden. Die islamische Unterweisung ist allerdings kein regulärer Religionsunterricht, da die Verkündung des Glaubens ausgespart bleibt. Nach dem Grundgesetz darf richtiger Religionsunterricht nur in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt werden. Die islamkundliche Unterweisung ist aber inhaltlich und in der Durchführung allein vom Land entwickelt worden, ohne muslimische Gemeinschaften zu beteiligen.

Warum sind sie nicht einbezogen worden?

Bei den muslimischen Gruppen ist es ein großes Problem, die richtigen Ansprechpartner zu finden. Wir haben hier in NRW Muslime aus zahlreichen Ländern, die – in Anführungsstrichen – unterschiedlichen Konfessionen angehören. Es gibt in der Türkei die sunnitische und die alevitische Religionsgemeinschaft, welche formal zu den Schiiten gehört. Etwa 20 bis 30 Prozent der hier lebenden Türken sind Aleviten, die sich von den Sunniten in Riten und Glaubensinhalten stark unterscheiden. Die Sunniten aus der Türkei gehören wiederum einer anderen sunnitischen Rechtsschule an als die Sunniten aus Marokko. Deshalb gibt es keine Religionsgemeinschaft, die sagen könnte: Wir sind jetzt die Vertreter aller Muslime. Obwohl das manche behaupten. Bei der Landeregierung haben sich der Islamrat und der Zentralrat der Muslime als Ansprechpartner für den Islamunterricht angeboten.

Beim Islamrat besteht doch aber das Problem, dass die islamistische Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dort eine außerordentlich starke Rolle spielt. Wer unterrichtet eigentlich die muslimischen Kinder?

Derzeit unterrichten 18 Lehrerinnen und Lehrer, die hauptsächlich aus der Türkei stammen und einige wenige arabische Lehrer aus Marokko. Die Lehrenden kommen fast alle aus dem muttersprachlichen Ergänzungsunterricht. Da haben sie früher schon Islamkunde gegeben, allerdings in türkisch oder arabisch. Jetzt findet die islamische Unterweisung in deutscher Sprache statt. Dadurch ist der Unterricht für alle Muslime offen, nicht nur für türkische und arabische Kinder wie früher. Wir haben ja an den Schulen auch Muslime, die aus Bosnien, aus dem Iran oder aus Afghanistan kommen. Die nehmen jetzt auch teil. Allerdings ist Deutsch als Unterrichtssprache ein Problem, weil viele der Kinder die Sprache in den ersten Schuljahren nicht beherrschen. An den Grundschulen in Duisburg etwa kann die islamische Unterweisung nicht wie geplant in der ersten, sondern erst in der dritten Klasse beginnen, weil die Kinder kein Deutsch können.

Wie werden die Lehrer ausgebildet?

Derzeit gibt es in Deutschland keine Lehrerausbildung für den Islamunterricht. Es kann sie auch nicht geben, weil es keine islamisch-theologische Fakultät gibt. Solche Fakultäten gibt es in islamischen Ländern – in der Türkei oder in Ägypten. In NRW wird derzeit überlegt, einen Lehrstuhl einzurichten, aber das ist noch Zukunftsmusik. Die Lehrer, die zur Zeit unterrichten, haben ihre theologische Ausbildung in der Türkei oder anderen islamischen Ländern erworben. Der Ausbildungsstandard ist letztendlich nicht richtig geklärt, denn es gibt keine festen Kriterien, wie viele Semester islamische Theologie die Lehrer studiert haben müssen. Der Schulversuch wird allerdings durch eine Lehrerfortbildung am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest begleitet. Dort wird derzeit auch deutschsprachiges Unterrichtsmaterial entwickelt. So müssen die Lehrer nicht mehr für jede Stunde selbst etwas entwerfen, schreiben, basteln oder malen.

Könnte nicht Material aus Bayern übernommen werden?

Dort wird islamische Unterweisung für die Klassen 1 bis 5 angeboten. Soweit ich weiß, sind in Bayern die Lehrer von den Konsulaten abgeordnet. Sie wurden in der Türkei ausgebildet und lehren nach in der Türkei zugelassenen Lehrbüchern. Die Lehrinhalte sind oftmals nationalistisch. Einen vergleichbaren Unterricht wie in NRW gibt es derzeit nirgendwo in der Bundesrepublik, zumal keinen deutschsprachigen. Deshalb muss Unterrichtsmaterial neu entwickelt werden. Das haben jetzt zwei türkische und ein marokkanischer Lehrer in Angriff genommen. Da in Deutsch unterrichtet wird, soll der Haupttext des Schulbuchs in Deutsch sein. Diesen Teil werde ich sprachlich begleiten. Die zentralen Inhalte der Einheiten sollen auch in türkischer und arabischer Sprache vorgestellt werden, um den Kindern, die noch nicht so gut Deutsch können, Hilfestellungen zu geben.

Es ist etwas erstaunlich, dass es so große Sprachprobleme gibt. Viele der heutigen türkischen Eltern sind doch hier aufgewachsen und sprechen deutsch.

Das liegt unter anderem daran, dass sich das Heiratsverhalten der jungen türkischen Männer geändert hat. Sie heiraten immer weniger türkische Frauen, die hier mit ihnen aufgewachsen sind. Scheinbar kommen sie mit denen nicht mehr klar, vielleicht weil sie zu emanzipiert sind. Stattdessen heiraten sie Frauen in der Türkei und holen sie hierher. Viele dieser Frauen können überhaupt kein Deutsch und verbringen hier ihren Lebensalltag in einer türkischsprachigen Umgebung. Die Kinder, die in diesem Milieu aufwachsen, hören so kein einziges Wort Deutsch. Dann kommen sie in die Schule und es ist, als würde man sie direkt aus Anatolien hierher holen. Das wird in den nächsten Jahren ein noch größeres Problem. Im Schulbereich wird darauf unangemessen reagiert. Es müsste viel mehr geleistet werden im Bereich der zweisprachigen Alphabetisierung, wie das jetzt in Hessen versucht wird.