„Mein Kopf . . .“

0:2 in Haching: Den Leverkusener Spielern versagen die Worte nach der tragisch verspielten Meisterschaft

UNTERHACHING taz ■ Im weitläufigen Warteraum D des Münchner Flughafens saßen sie am frühen Abend versprengt und viele für sich in den schwarzen Sitzreihen. Ein paar verloren sich im Bistro an den Tischen, starrten vor sich hin. Ein großes Schweigen lag über der Halle. Nur leise war aus der Ecke des Bistros der Fernseher zu hören. Dort lief „ran“. Der Spielbericht aus Unterhaching. Nur ein Spieler hatte die Nerven, sich das Drama noch einmal anzusehen.

Hinterher ist man manchmal auch nicht schlauer. Was soll man noch sehen, was noch sagen, wenn man die Meisterschaft so nah vor Augen und dann in einem einzigen Spiel sang- und klanglos vergeben hat? 14 Spiele hatte Bayer nicht mehr verloren, das letzte Mal Anfang Februar bei Bayern München. Christoph Daum hatte voller Vorfreude auf das Spiel gesagt, es zu bestreiten, sei „keine Frage der Aufstellung, sondern der Einstellung“. Dann liefen sie in Unterhaching auf – und nichts ging. Alle Nervosität, die sie bislang nicht gezeigt hatten, schien nun im Endspiel auszubrechen. Bei allen. Auf einmal. Von Anfang an.

Schon vor dem Eigentor durch Michael Ballack (21.) war das Leverkusener Spiel schlecht. Er hätte, sagte Jens Nowotny später, nach dem 0:1 noch gedacht, „ein Tor kann immer mal reingelogen werden“. Aber spätestens nach dem 2:0 der Spielvereinigung (Oberleitner, 72.), „haben wir gewusst, dass wir verloren haben“.

Und sie konnten doch alle hinterher nicht begreifen, was ihnen da gerade geschehen war. Fassungslosigkeit. Schweigen. „Ich kann nichts sagen“, sagte Emerson, „mein Kopf . . .“ Und dann schlug er sich mit der Hand an die Stirn und ging davon.

Weil sie schon lange vor dem Abpfiff wussten, dass sie geschlagen waren, brach beim Abpfiff niemand auf dem Rasen zusammen. Die Spieler eilten in die Kabine. Nur Ballack saß allein auf der Auswechselbank und vergrub sein Gesicht in den Händen. Ballack, sagte Unterhachings Trainer Lorenz-Günther Köstner in seinem eigentümlichen Pathos, sei jetzt „der unglücklichste Mensch in ganz Deutschland“, und dass es ihm, Köstner, „in der Seele weh getan habe“, als „dieser junge Nationalspieler das Eigentor gemacht“ hatte.

Christoph Daum ging mit versteinerter Miene den weiten Weg über den Rasen in die Kabine. Im Eingang zum Spielertrakt traf er auf seinen Sohn, sie umfassten sich und Daum weinte. Später sagte er: „Das war die beste Mannschaft meines Lebens.“ Und: „Gebt uns ein bisschen Zeit, das tut weh.“ Währenddessen tröstete Reiner Calmund auf dem Rasen Ulf Kirsten, der sein Gesicht an der Schulter des Geschäftsführers vergrub. Später im Flugzeug schimpfte der Torjäger, was man alles hätte anders machen müssen. Er, 34 Jahren alt, ahnt, dass er die Chance, Meister zu werden, nicht mehr sehr oft haben wird.

In der nächsten Saison wird Stefan Beinlich fehlen, der nach Berlin geht, und vermutlich auch Emerson, der nach Rom wechseln will. Nowotny versuchte sich dennoch in Zweckoptimismus: „Wir haben noch Chancen, uns zu verbessern, Bayern nicht.“ Auch Daum war bemüht, sich selbst Mut zu machen: „Du kannst hinfallen, du musst nur wieder aufstehen. Und wir stehen wieder auf.“

Zum dritten Mal binnen vier Jahren ist Bayer Leverkusen Vizemeister hinter Bayern München. „Wir werden immer besser, dieses Mal war es ganz knapp“, sagte Nowotny in trotzigem Aufbegehren. Was sie alle vermutlich ahnen und in den nächsten Tagen richtig begreifen werden, ist, dass sie die Niederlage von Unterhaching nicht in einem Spiel wieder gutmachen können. Wenn sie Glück haben und alles perfekt läuft, müssen sie 34-mal die Nerven behalten. Einmal mehr als in dieser Saison. KATRIN WEBER-KLÜVER

SpVgg Unterhaching: Tremmel - Strehmel - Seifert, Grassow - Haber, Matthias Zimmermann, Oberleitner (80. Bucher), Schwarz, Straube - Seitz (90. Garcia), Rraklli (70. Breitenreiter) Bayer Leverkusen: Matysek - Zivkovic (46. Rink), Nowotny, Kovac - Schneider, Emerson, Beinlich, Zé Roberto - Ballack (67. Brdaric) - Neuville (74. Ponte), KirstenZuschauer: 11 500, Tore: 1:0 Ballack (20./Eigentor), 2:0 Oberleitner (72.)