Die Verkünder sind müde

Anstatt mit der Frohen Botschaft zu glänzen, plagt mentale Vergreisung die protestantische Publizistik. Nach dem Aus für das „Sonntagsblatt“ ist Besitzstandswahrung das Gebot der Stunde. Frust und Anpassung ersetzen die inhaltliche Debatte

von ANJA BROCKMANN

Die Katholiken sind fein raus. Ihr Papa in Rom ist ein Medienstar in prächtigem Gewand. Von jedem Winkel und Rollfeld der Erde aus zeichnet er sein Kreuz in die laufenden Kameras. Das Bild kommt an. Die Botschaft auch.

Da können die Nachfahren Luthers nur neidisch werden. Von Autorität und großer Symbolik losgesagt, bemühen sich die Schwestern und Brüder selbst um die Verkündigung in den Medien. Mit vielen Worten. Aus vielen Zungen. Denn Meinungsvielfalt gehört ebenso zu den Grundfesten des deutschen Protestantismus wie der Föderalismus.

Drum sitzen die Strippenzieher des publizistischen Netzwerkes vor allem in den Medienhäusern der Landeskirchen. Diese Journalisten arbeiten dort für die kircheneigene Agentur Evangelischer Pressedienst (epd) und die regionalen Sonntagszeitungen; das publizistische Dickicht verschluckt jährlich rund 200 Millionen Mark.

Großer Aufwand mit geringer Wirkung. Das mediale Interesse an der evangelischen Kirche ist minimal, und auch die kircheneigene Presse bleibt wegen schwindender Leserschaft ein Zuschussgeschäft. Das schädigt nicht nur die Kirchenkasse, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Evangelischen Kirche als kompetente Medienkritikerin. Doch eben diese Wächterrolle ist der Kirche heilig. Darum will die Kirchenleitung in Hannover ihre Publizistik wieder fit machen: Die Marschroute wurde bereits vor drei Jahren in einem Papier mit dem verheißungsvollen Titel „Mandat und Markt“ festgelegt: Da ist von Effizienz die Rede, von Fusionen und unternehmerischem Handeln – kurz: mehr Profil durch mehr Zentralismus.

Zentrale auf grüner Weide

Solch böse Worte nimmt natürlich niemand in den Mund, stattdessen spricht man von „Prioritäten“ und vor allem von „Gemeinschaftsaufgaben“. Und ruft damit eine Einrichtung auf den Plan, die man bereits Anfang der 70er-Jahre als publizistische Schaltzentrale auf die grüne Wiese im Frankfurter Nordwesten gestellt hatte: das Gemeinschaftswerk Evangelischer Publizistik, kurz GEP. Doch das Haus stand von Beginn an auf bröckligem Fundament: In den Leitungsgremien saßen auch die Vertreter der Landeskirchen, ohne ihre Zustimmung lief nichts. Das ging solange gut, wie das Kirchensäckel prall gefüllt war. Als die Kirchensteuereinnahmen sanken, war es mit dem Burgfrieden vorbei – bilaterale Arbeitsabkommen der Landeskirchen machen dem GEP seit langem Konkurrenz.

Nun soll ausgerechnet der ungeliebte Koloss in Frankfurt – im frischen Gewand einer gemeinnützigen GmbH – für neuen Schwung sorgen. GEP-Geschäftsführer Hans Norbert Janowski träumt bereits laut von neuen, wahnsinnig trendigen Angeboten, die die Menschen in den Schoß der Kirche zurückführen sollen. Wie zum Beispiel ein Call Center mit einer zentralen Datenbank, „so dass man am Telefon alle Infos aus dem kirchlichen Bereich abrufen und sich nach Bedarf auch gleich an einen Seelsorger weiterschalten lassen kann“.

Doch noch scheint keiner das Signal zum Aufbruch vernommen zu haben. Kaum ein Laut dringt durch die verschlossenen Türen der Frankfurter Redaktionen. Wer will, kann bis zum Abend hinter seinem Schreibtisch in Deckung gehen. Manch einer macht es sich gar in seinen Büropantoffeln gemütlich. Gespräche mit Kollegen aus dem Haus werden am Telefon abgewickelt, und in der Teeküche kocht jeder sein eigenes Süppchen.

Bewegung rückwärts

Gemeinschaft bleibt weiterhin vor allem ein Thema für die Gremien. Wenn sich überhaupt etwas bewegt, dann nur rückwärts. Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, die einzige überregionale Wochenzeitung der Kirche, wird im Sommer eingestellt und soll nur noch als religiöse Monatsbeilage der Süddeutschen Zeitung und der Zeit beiliegen. Die Evangelische Journalistenschule in Berlin, erst 1995 aus der Taufe gehoben, soll in ihrer bisherigen Form beendet werden. Und auch die Fusion der zehn Landesredaktionen des epd mit der Zentrale in Frankfurt ist vorerst gescheitert. Denn niemand will den Ast absägen, auf dem er selber sitzt.

Die Landeskirchen kämpfen um ihre Präsenz vor Ort, das GEP um seinen Standort in Frankfurt. Besitzstandswahrung ist das Gebot der Stunde, auch mental. Kritiker sprechen bereits von einer „Neo-Orthodoxie“ – angesichts abnehmender gesellschaftlicher Akzeptanz besinnt man sich auf die Grundfesten der Institution. Und bemüht sich nach außen um eine Fassade der Einheit. „Statt offen zu kommunizieren hat man nur noch den Rückzug auf sich selbst zu bieten“, so ein Insider.

Nur selten wagt sich einer an die Öffentlichkeit. Wie zum Beispiel Sebastian Engelbrecht, bis 1999 Referent der Rundfunkbeauftragten. Der Gremien müde, machte sich Engelbrecht in der Frankfurter Rundschau Luft und plädierte dort für eine Aufweichung des Sendemonopols der christlichen Kirchen im Rundfunk. Verkündigungssendungen wie das ARD-„Wort zum Sonntag“ müssten auch anderen Religionen geöffnet werden, schrieb Engelbrecht. Der Artikel erschien am Samstag, am Montag darauf entzog die Kirche dem Autor das Vertrauen. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgelöst – natürlich in beiderseitigem Einvernehmen. Kritisiert wurde weniger, was Engelbrecht gesagt hatte, sondern dass er es gesagt hatte. Und zwar öffentlich: „Herr Engelbrecht war in seiner Seele wohl eher ein Journalist denn ein Mann der Kirche“, versucht ein Interner die Motive zu ergründen – und beschreibt damit ungewollt das Dilemma.

Versuchter Dauerspagat

Die evangelische Publizistik versucht den Dauerspagat: Gesinnungspresse will man auf jeden Fall vermeiden, eine Störung des Kirchenfriedens aber auch. Gefragt ist vielmehr eine „kritische Loyalität“. So gibt es beispielsweise für die regionalen Zeitungen kaum inhaltliche Vorgaben.

Tabus gibt es trotzdem: Themen wie Homosexualität oder Islam sprengen die Toleranzgrenze der überalterten Leserschaft. Und bei Porträts kirchlicher Mitarbeiter funktioniert die Schere im Kopf. „Unsere Arbeit liegt in der Spannbreite zwischen Freiheit und Frust“, sagt Manfred Gärtner, langjähriger Redakteur bei der Bielefelder Sonntagszeitung Unsere Kirche. Die Aufbruchstimmung der frühen Jahre sei weg, der Blick fürs große Ganze auch, bedauert er. „Jeder wurschtelt vor sich hin, einmal im Jahr trifft man sich vielleicht im GEP, das war’s“.

Doch auch in Frankfurt tritt die Kriegsgeneration, die noch etwas Neues aufbauen wollte, ab. Und damit auch die theologischen Vordenker. Impulse fehlen, Visionen sowieso. „Das mentale Vergreisungsphänomen hat voll zugeschlagen“, so eine Kritikerin. Janowski will, dass die Kirche den Spaß an der Kommunikation wieder findet. Doch wie schwer sie sich damit tut, zeigt ein Besuch auf der EKD-Website. „Ich möchte den Menschen im Internet die Möglichkeit geben, bei ihrer virtuellen Reise unterwegs festzumachen, verlässliche Kommunikation zu erleben und auf ihre Fragen in Sachen Glauben oder Medien Antworten zu finden“, begrüßt Internet-Beauftragter Tom Oliver Brok die Surfer.

Nicht nur dieses eine Beispiel macht deutlich: Die Kirche muss zu einer neuen Sprache finden. Und vielleicht auch zu neuen Inhalten.