FAKE-INTERVIEWER TOM KUMMER ERWEITERT DIE MEDIENTHEORIE
: That‘s Entertainment!

Ein „Borderlinesyndrom“ ist laut Brockhaus der „lange Zeit unklare Begriff für Störungen, die zwischen Neurose und Psychose liegen“ und wird inzwischen als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt. Und Tom Kummer, jener aufgeflogene Held, der aus anderen Texten montierte und zum Teil frei erfunden Prominenten-Interviews veröffentlichte, inszeniert sich ganz von selbst als „Borderline“-Journalist – mit keinem geringeren Anspruch als dem, die Medientheorie zu erweitern.

Doch dazu gehört dann doch wohl mehr als Chuzpe, flotte Schreibe und ein Ego groß wie die Welt. Eine Fake ist ein Fake ist ein Fake, und dass Kummer jetzt kneift und versucht, sich als schuldlos-schuldiger Vertreter einer neuen Medienspezies zu präsentieren, ist dümmlich und eitel. Das gilt auch für die Aufgeschrecktheit und das plötzliche „mea culpa“ seiner Auftraggeber in München und anderswo: In einer Zeit, in der Weltstars selbst die Journalistenelite der New York Times, von Time Magazine und der großen US-Fernsehanstalten nur im Dutzend abfertigen und jede Interviewsilbe von PR-Beratern und sonstigen Agenten abgesegnet werden muss, schütteten dieselben Stars ausgerechnet einem freien Mitarbeiter des SZ-Magazins willig Herz und Hirn aus. Stundenlang und exklusiv. Was verrät das über die Selbstwahrnehmung der betrogenen Gazetten?

Zumal: Befriedigte Kummer nicht exzellent den Bedarf an intelligenten Nachrichten aus der Welt des Showbiz, die diese ohnehin nicht liefern kann? „Leser meiner Generation wollen unterhalten werden: Entertain me“, sagt der Schweizer aus L.A. im Rechtfertigungsgespräch mit dem neuesten Spiegel. Und was an einem realen Brad-Pit-Interview ist denn bitte schön real?

Gerade das SZ-Magazin kennt ja durchaus den bewussten Fake, der oft erhellender ist als die schnöde Wirklichkeit – und meist auch noch lesbarer. Wesentlich ist nur, bei allem Bemühen um Intensität, Dichtung und Wahrheit deutlich zu trennen und dies zu benennen. Sonst drohen – ähnlich wie beim Borderlinesyndrom – „selbstschädigende Aktivitäten“. STEFFEN GRIMBERG