Häääääh?

■ Romantik ist halt eine ziemlich leise Angelegenheit. Das wissen nun jene, die der Berliner Formation Einstürzende Neubauten bei ihrem sexy stillen Auftritt im Kulturzentrum Schlachthof in Bremen zuhörten

Schmackel / schmackel / bunz / bunz / schmackel / schmackel / bunz“, dichtete vor Jahren Ernst Jandl. Einen ähnlich „privaten Marsch“ bringt Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten im Schlachthof zu Gehör, wenn er ein simples „Allerdings“ bis zur Gerade-noch-Kenntlichkeit rhythmisiert. Dass Neubauten-Sänger Bargeld immer schon ein irgendwie verkappter Romantiker war, ist längst bekannt. „Über den Liebenden gibt es kein Gesetz“, heißt es im genannten Song. Kleine, beiläufige Worte sind seine Sache nicht. Was wohl das einzige Element wäre, das sich an Bargelds Punkvergangenheit noch andocken lässt. Beiläufig ist allein die Art und Weise, wie er Referenzen in seinen Sprechgesang einbaut.

So in „NNNAAAMMM“, wo er mit „Schläft ein Lied in allen Dingen, / die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort“ einige der vielleicht schönsten Verse deutschsprachiger Poesie in den abschließenden Drone hineinflüs-tert. Diesmal ohne zu betonen, dass die ja von einem gewissen Joseph von Eichendorff stammen. Das nämlich hatte er noch nötig, als es vor Jahren daran ging, das oftmals ungeliebte Album „Ende Neu“ vorzustellen.

Anders als das „...scheiterst immer besser“ in „Dingsaller“ nahe legen mag, kann vom (mehr oder weniger erfolglosen) Versuchen keine Rede mehr sein. Die Wunde, die das Ausscheiden von Mark Chung und FM Einheit ins Bandgefüge gerissen zu haben schien, ist längst verheilt. Schlagwerker Rudi Moser und Gitarrist Jochen Arbeit wirken nicht wie vordem als Auswechselspieler, sondern erweisen sich als eigenständige Mitglieder des neuen Konzepts.

Ist es wirklich so neu? Das Zauberwort heißt Stille, Silence. Die sei sexy, meint der als Opener im Schlachthof dargebrachte Titelsong des neuen Albums, das am 1. April – kein Scherz! – mithin am 20. Jahrestag des ersten Neubautenkonzerts herauskam. Silence is sexy also, ein ruhiges Stück. Popsong fast. Das frühere Grundrauschen, -knattern, -stottern als kontrollierte Eruption inmitten des minimalistisch-schönen Klangteppichs, ein paar Takte lang, dann wieder Stille.

Jedoch: Immer schon war diese Stille, war der Nichtklang konstitutiv für den spezifischen Neubautensound, nur halt selten so „hörbar“ wie momentan. Am deutlichsten wird das vielleicht beim update von „Headcleaner“, einem Monumentalstück, das den Abend nach gut zwei Stunden beschließt. Silence! schreit es da aus des Bargelds Kehle, was schon auf „Tabula rasa“ so war. Die Momente aber, da alles zur Ruhe kommt, erscheinen ausgedehnt, lenken Auge und Ohr aufs Publikum, dessen Gemurmel allein noch zu hören ist in diesen Sekunden.

Zwischen Teil eins und zwei gibt's ausgedehntes Elektrogefiepe. Die Scheinwerfer verlassen die Bühne und man sieht – als eigene Inszenierung – die Zuhörenden sich die Ohren zuhalten. Das war das Ende, und alle schienen's zufrieden. Das Publikum, das sich versicherte, es sei gar nicht so schlimm, nur einen Klassiker, nämlich „Haus der Lüge“, gehört zu haben. Und die Band, allen voran Blixa Bargeld, Fix- und Blickpunkt im Neubauten-Universum.

Der agierte so aufgeräumt wie selten, riss ein paar richtig gute Witze, kommentierte das Geschehen auf ungeahnt selbstironische Weise, indem er seine Vorliebe für Überbau und Pathos gleich selbst aushöhlte. Für ein Stück sei ihnen der Nobelpreis für Physik in Aussicht gestellt worden, aber der Ausschluss aus dem deutschen Physikerverband habe das Ganze dann vereitelt. Blöde Sache das.

Das einzig wirklich Verwunderliche war, dass trotz des im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich niedrigeren Altersdurchschnitts (und einer erstaunlich hohen Kappendichte) kaum jemand der Vorband, dem Elektronikduo „Funkstörung“ so richtig etwas abgewinnen konnte. Die waren nämlich richtig gut.

Zu gut eigentlich, um sie in wenigen Zeilen abzuspeisen.

Tim Schomacker