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: „We are family“

„die story: Traumjob bei

VIVA?“ (So., 21.00 Uhr, WDR)

Viva ist anders – wir haben es immer gewusst: Stars zum Anfassen, ein Sprungbrett für Medienkarrieren, wo blutjunge Praktikanten das Programm machen. Und doch ist es Fernsehen: Menschen sind Zielgruppen, Clips sind Werbetrailer und Viva ist kein popkulturelles Jugendzentrum, sondern ein Instrument der Tonträgerindustrie.

Unter der WDR-Marke „die story“ machte sich die Reportage von Martin Uhrmeister daran, die Welt des deutschen Musikfernsehens in einem Wassertropfen zu zeigen. Wir folgen Simone aus Ostberlin zum Moderatoren-Casting von Viva und ZDF, bis schließlich die neue „Chart-Attack“-Moderatorin vor uns steht, die 3.000 Aspirantinnen ausgestochen hat. Schwitzen, schminken, auf Zuruf gut drauf sein.

Darin verwoben kleine Exkurse zum System: Playlists, Rotationen und der Fall der Grenzen zwischen Programm, Werbung und Verkauf. Und massive O-Töne: „... digitales Pipeline-Denken, nicht nur theoretisch ...“, lässt Viva-Chef Dieter Gorny den Jargon prächtig perlen. So weit, so gut. Persönliches Schicksal meets Aufklärung – eine Reportage mit kritischen Avancen. Der Traum eines jungen Mädchens als Vehikel für sperrige Infos über die Krake Musik- und TV-Business. Und doch: Was bedeutet es, als Moderator zur „One Viva Family“ zu gehören? Wir alle kennen Stefan Raab und Co. Und die anderen? Selbst das „Girlie“-Wunder Heike Makatsch, heute Schauspielerin, räumte damals ein, Viva sei „ja nur dein Sprungbrett“. Aber wohin geht die Reise, wenn große Plattenfirmen und voll integrierte Medienkonzerne regieren?

Man kann sich nicht wirklich beklagen, und doch ist der Film symptomatisch für die neue Linie bei den ARD-Dritten im Allgemeinen und dem WDR im Besonderen: Auf dem Weg zum massenattraktiven Vollprogramm wird Kultur gekürzt und Tempo gemacht. Es fehlen Mut und Muße für offene Fragen, für Abschweifungen, fürs große Ganze. JAN LINGEMANN