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Und nur noch siebeneinhalb Minuten bis zum schrecklichen Unfall: Geoff Rymans U-Bahn-Roman „253“

Experimentelle Romane werden meist langweilig, hat man erst mal die Idee verstanden. Nicht so Geoff Rymans Roman „253“, der zwar ein starres Korsett hat. Doch langweilig ist er nie, es sei denn, man liest sich tatsächlich Seite für Seite hindurch – tatsächlich aber handelt „253“ vom Herumgeblätter.

Das Korsett: 253 Personen sitzen in einer Londoner U-Bahn, jede Person bekommt eine Seite und 253 Wörter für seine „äußere Erscheinung“, „private und berufliche Informationen“ und „was er oder sie gerade tut und denkt“. Die Dauer der Handlung erstreckt sich über siebeneinhalb Minuten, bis ein schreckliches Zugunglück die meisten Gäste dahinrafft.

„253“ ist als Internetroman entstanden (www.ryman-novel.com), und die Vernetzung der 252 Passagiere und des Fahrers funktioniert in der Online-Version über Links – im Laufe der Lektüre kann man sich quer durch dem ganzen Zug klicken. Fahrgast 63 hat einen Bruch gemacht und bemerkt, dass ihm die einzige Zeugin gegenübersitzt. Das ist Fahrgast 48, sie arbeitet im South Bank Technology Park. Dort muss auch Fahrgast 115 hin, um seine Arbeit vorzuführen. 115 muss an den Süßwarenhändler aus der Waterloo-Station denken. Das ist der Kollege von 177. Usw. usf.

In der gedruckten Version muss man schon blättern, aber dafür hat sich Ryman Autorenfreiheiten herausgenommen, für die in der Online-Ausgabe kein Platz ist. Deshalb ist das Buch auch dicker als die eigentlich vorgeschriebenen 253 Seiten. In charmant-verquasselten Fußnoten fügt er persönliche Reflexionen über London an. TOBIAS RAPP

Geoff Ryman: „253 – Der U-Bahn-Roman“. dtv, München 2000, 360 Seiten, 28 DM