Beats aus Watte

Wenn LTJ Bukem die Bassline brummen lässt, fürchten sich weder Hund noch Katze  ■ Von Oliver von Felbert

LTJ Bukem ist in der Stadt! Na und? Was vor drei, vier Jahren noch einen mittleren Großalarm unter trendbewussten Discogängern ausgelöst hätte, kommentiert der hippe Metropolenbewohner heute mit einem müden Schulterzucken. Drum & Bass ist zwar nicht tot, doch lange nicht mehr so heiß und fettig wie '95, als der neue Sound aus London alle anderen Tanzmusiken über Nacht schrecklich alt aussehen ließ.

LTJ Bukem zählte zu den einflussreichsten Botschaftern der Drum & Bass Revolution; was bei ihm auf dem Plattenteller lag, war automatisch vorne. Zusammen mit Fabio, einem weiteren Soundsys-tem-geschulten Pionier der Szene, hatte er Drum & Bass von den schmuddeligen Raves der Vorstädte in die angesagten Clubs des Londoner Westends gebracht. Mit ihrem Donnerstags-Club „Speed“ spielten sie sich in die Herzen und In-Listen der Club-Mafia. Popstars wie Björk standen Schlange, Acid Jazz-Veteranen wie Gilles Peterson tankten frische Grooves und niemand musste mehr befürchten, auf dem Weg zum Klo die Geldbörse zu verlieren.

Doch „Speed“ befreite Drum & Bass nicht nur von seinem Drogen- und Kleinkriminellen-Image. Bukem und Fabio spielten eine neue Art von Drum & Bass. Die dunklen Rave-Signale der Früh-90er Hardcore-Platten fehlten ebenso in ihren Sets wie die Ragga-Samples und Pistolenschüsse der Jungle-Phase von '93/'94. Ihr Drum & Bass war freundlicher und musikalischer. Die Beats krachten nicht mehr rauh und brachial, sondern klöppelten gepflegt in der Mitte. Beim Einsatz der Basslines mussten weder Hund noch Katze Schutz unterm Sofa suchen, und sogar House-DJs konnten etwas damit anfangen.

Für die Pillenfresser und rude bwoys war das Drum & Bass ohne Zähne; Beats aus Zuckerwatte, überzogen mit synthetischen Streichern und Saxophon-Schnipseln. Doch die Befürworter waren eindeutig in der Mehrheit. Das Wort vom Jazz Funk fürs nächste Jahrtausend machte die Runde, und der bekennende Fender Rhodes-Fanatiker Bukem wird nicht müde, die alten Meister zu loben. „Ich liebe die Art, wie Lonnie Liston Smith und Herbie Hancock in ihrer Musik Raum schaffen. Bei allem Minimalismus ist es eine ausgesprochen warme Musik“, sagt er im englischen Straight No Chaser-Magazin.

Mit dem Erfolg des „Speed“ Clubs setzte auch der mediale Hype um Drum & Bass ein. Das plötzliche Interesse von Presse, Funk und Musikindustrie an der kleinen Londoner Szene stieg nicht wenigen DJs und Produzenten zu Kopf. Und die wenigsten, die dem Geld der großen Plattenfirmen folgten waren in der Lage, ihren Club-Sound auf Albumlänge zu strecken. Mit Ausnahme der ersten Goldie-LP und Roni Sizes „Reprazent“-Projekt konnte keiner der gesignten Drum- &-Bass-Propheten die kommerziellen wie künstlerischen Erwartungen erfüllen.

LTJ Bukem hielt sich derweil bedeckt. Er investierte seine nicht eben schmalen DJ-Gagen in den Aufbau seines Labels Good Looking, wo er statt eigener Stücke vorwiegend Platten anderer Produzenten veröffentlicht. Die wiederum exakt dem Bukem-Sound entsprechen, mit dem er seit Jahr und Tag non-stop als DJ über die Dörfer zieht. Begleitet von seinem MC Conrad und einem kleinen Kreis assozierter DJs spielt er unabhängig vom Rave-Zirkus für ein Publikum am äußeren Rand des harten Drum-&-Bass-Kerns. Auch wenn die Szene schon mal mault, Bukem bediene mit seiner Musik vorrangig Studentinnen und Frisöre, gibt ihm der Erfolg irgendwie Recht. Während das Gros der Drum-&-Bass-Veröffentlichungen nur noch dünne Margen abwirft, läuft sein gerade erschienenes erstes Album Journey Inwards prima.

Viel geändert hat sich bei seiner Musik freilich nicht. Auch wenn die Beats schon mal im House oder Hip-Hop-Tempo rollen, bestimmen dick wattierte, digitale Jazz-Funk-Variationen den Geschmack. Die kann man entweder kosmisch oder belanglos finden.

heute, 21 Uhr, Fabrik