Henning, das Zugpferd

■ „Zentrum für Sozialpolitik“ legt späte Wahlanalyse vor

Fast genau ein Jahr nach der letzten Bürgerschaftswahl präsentierte letzte Woche das Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen seine Wahlanalyse „Bremer Bürger Befragung“. So spät – warum dann überhaupt noch? Vor allem müssen die Empiriker ihren Ruf verteidigen: Als am 28. Mai 1999, also kurz vor der Wahl, die privat in Auftrag gegebene Wahlprognose des Zentrums für Sozialpolitik präsentiert wurde, wurde den Forschern Einflussnahme auf die Ergebnisse vorgeworfen. Viele Wähler hätten sich von der – einzigen – Prognose für die Bremer Bürgerschaftswahl in ihrer Entscheidung leiten lassen, so der Vorwurf. Vor allem kleinere Parteien wie AfB, FDP oder PDS, die später wie vorhergesagt an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, meckerten: Die Prognose habe sie frühzeitig als Verlierer dastehen lassen, auf die dann kein Wähler mehr setzen wollte – in der Sprache der Forscher nennt sich das „Defätismuseffekt“.

Tatsächlich gibt es keine wissenschaftlichen Beweise, welchen Einfluss eine Wahlprognose auf das Wahlverhalten hat, verteidigen sich die Forscher. Möglich aber sei ein Zusammenhang. Der SPD zum Beispiel war eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze prognostiziert worden – das könnte ein Grund sein, warum viele SPD-Wähler nicht zur Urne gingen und zu Hause an den sicheren Sieg glaubten – der sogenannte „Lethargieeffekt“. Weitere These: Nach der Prognose wählten SPD-Wähler aus taktischen Gründen die CDU, um eine Alleinregierung der Sozialdemokraten zu verhindern – denn nur 27 Prozent der SPDler wünschten dies, während 40 Prozent der SPD-Wähler eine weitere große Koalition wollten.

Überdeutlich in der Nachbetrachtung wird vor allem eines: Henning Scherf ist das Zugpferd der SPD in Bremen. Auf einer Skala von -5 bis +5 bekommt Scherf die Note 2,8 – besser sogar als Landeschef Edmund Stoiber aus Bayern. Zwar wird dem Regierungschef weniger Zustimmung zuteil, je jünger die Wähler sind – gerade die Altersgruppe zwischen 21 und 25 Jahren fällt aber auch durch die mit Abstand geringste Wahlbeteiligung auf. Gefragt, ob als Bürgermeister eher Henning Scherf oder Hartmut Perschau gewünscht werde, antworteten vor der Wahl 73,8 Prozent mit: „Scherf“. Ihm wurde zudem ein erheblich höheres Maß an Glaubwürdigkeit und Sympathie bescheinigt.

Glaubt man an die Untersuchung, so haben die BremerInnen nicht nur das bekommen, was sie verdienen, sondern auch das, was sie sich mehrheitlich gewünscht haben: 40 Prozent der 1.100 Befragten wünschten sich eine große Koalition, nur 18 Prozent ein rot-grünes Regierungsbündnis. Für eine SPD-Alleinregierung waren nur 13,8 Prozent. Fast drei Viertel der Befragten in Bremen hatten zudem die bisherige Arbeit der Koalition mit gut oder sehr gut bewertet – in Bremerhaven waren es allerdings nur 53,4 Prozent.

Auch für das Scheitern der AfB (nicht mehr im Parlament) und das schlechte Ergebnis der Grünen (von 14 auf zehn Parlamentssitze abgesunken) fanden die Forscher Gründe: Die SPD habe auf die Konkurrenz der AfB mit einem Politikwechsel reagiert, der keinen Platz für eine weitere Partei zwischen CDU und SPD gelassen habe. Die Grünen hätten ein „Motivations- und Mobilisierungsproblem“ gehabt, gerade Stammwähler seien nicht zur Wahl gegangen oder hätten andere Parteien gewählt. Außerdem sei die Oppositionsarbeit negativ bewertet worden, der Spitzenkandidatin Helga Trüpel habe es an „Zugkraft“ gefehlt.

Ob in drei Jahren erneut eine Wahlprognose für Bremen erstellt wird, hängt allein vom schnöden Mammon ab. Das letzte Mal bezahlte Radio Bremen den größten Batzen des Großauftrags. Eine Folgestudie, hieß es beim Zentrum für Sozialpolitik, sei bislang nicht in Auftrag gegeben worden. cd