Ernie und Bert tun es

Erziehen, bilden und unterhalten im Namen der Kunst und des Theaters: Das Kinder- und Jugendtheater carrousel in Lichtenberg feiert dieser Tage sein fünfzigjähriges Jubiläum

von REGINE BRUCKMANN

Das Haus für Kinder ist eine feste Burg, schwer und grau liegt es neben der grünen Parkaue in Lichtenberg, und ein wenig bröckelt heute der Putz. 1911 wurde es erbaut als höhere Knabenschule. Die Kinder, die hier früher ein und aus gingen, wurden von der großen Turmuhr zu pünktlichem Erscheinen ermahnt. Nach dem Krieg kamen wieder Kinder, aber sie wurden erzogen, gebildet und unterhalten im Namen der Kunst. Das Theater der Freundschaft zog im November 1950 hier ein. Auch in Dresden und Halle, in Leipzig und Magdeburg wurden nach dem Krieg Kinder- und Jugendtheater nach dem Vorbild der Stadttheater aufgebaut. Die jungen Zuschauer, so der Gedanke, sollten denselben Anspruch auf ein künstlerisches Angebot haben wie erwachsene.

Wenn das carrousel Theater in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum begeht, dann werden selbstverständlich auch 40 Jahre Theater der Freundschaft mitgefeiert. Manuel Schöbel ist seit 1991 hier Intendant und mit dem sozialistischen Kinder- und Jugendtheater groß geworden. „Es war eines der am besten ausgestatteten Theater in der DDR. Es bot hervorragende Arbeitsbedingungen und hat immer wieder die besten Künstler angezogen. Gleichzeitig gab es natürlich die Verquickung mit der Volksbildung, diesem verlängerten Arm des Sozialismus.“

Lange Zeit, so Schöbel, war gutes, freies Arbeiten möglich, dann plötzlich griff der verlängerte Arm des Sozialismus ein. Ein Beispiel: 1987, zur 750-Jahr-Feier der Stadt, schaut die Welt auf Berlin, auf Ost ebenso wie auf West. Ein Stück von Manuel Schöbel wird einstudiert – „Prinz Tausendfuß“. „In der Endprobenphase“, meint Schöbel, „hatten wir Vertreter von gleich zwei bis drei Ministerien hier.“ Die Lehrlinge von Elektro-Kohle Lichtenberg, als Statisten mit auf der Bühne, hatten sich bei ihren FDJ-Funktionären laut darüber gewundert, dass das Mädchen in dem Märchen drei Mauern überwindet. „Aber damit konnten wir leben. Der Regisseur musste ein paar Striche machen“, erzählt Schöbel, „und dann ging das über die Bühne.“

Nach der Wende sollte das Theater der Freundschaft den ideologischen Ballast abwerfen. Seit 1991 lebt es als „carrousel Theater an der Parkaue“ weiter. Der staatliche Status ist geblieben. Das Kinder- und Jugendtheater wird heute vollständig vom Land Berlin finanziert. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit dem Grips Theater: Die Spielpläne werden aufeinander abgestimmt, und man teilt sich einen zweiten Spielort, die Werkstatt des Schillertheaters. Das carrousel ist heute das größte Theater seiner Art in der Bundesrepublik, auch wenn von ehemals 240 Mitarbeitern nur 140 geblieben sind. Die kleinen freien Gruppen in Berlin können von Senatszuwendungen, wie sie das staatliche Kindertheater an der Parkaue erhält, nur träumen, aber auch das carrousel wurde vom allgemeinen Sparzwang nicht verschont. Die Fördermittel wurden von 15 Millionen Mark im Jahr 1994 auf rund 10 Millionen für 1999 gekürzt. Trotzdem ist die Zuschauerzahl stabil geblieben: So verweist die Statistik auf fast hunderttausend Besucher in der Spielzeit 98 / 99.

„Auch mit weniger Geld und Personal können wir die Qualität der Aufführungen halten“, erklärt Manuel Schöbel selbstbewusst. Stolz ist der Intendant auch auf sein Theater als Schauplatz eines Festivals. Alle zwei Jahre findet hier das Kinder-und Jugendtheatertreffen mit deutschen und europäischen Gastspielen statt; ein Festival, das mit dem hohen Standard seiner Aufführungen dazu beiträgt, das Genre ernst zu nehmen und zu etablieren.

In der laufenden, fünfzigsten Spielzeit fächert das carrousel sein ganzes Spektrum auf. Da gibt es aufwendig gemachtes und anspruchsvoll inszeniertes Kindertheater wie „Die goldene Göttin“ der russischen Autorin Ljudmila Petruschewskaja. Da werden die Schulhofgeschichten, die im vergangenen Jahr mit dem Brüder-Grimm-Preis ausgezeichnet wurden, auf europäischer Ebene fortgesetzt. Theatermacher und Pädagogen erarbeiten darin gemeinsam mit Schülern Themen wie erste Liebe oder Fremdenfeindlichkeit. Da stellt die Reihe „Geschichte in Geschichten“ 50 deutsche Jahre in fünf Inszenierungen vor. Und jede Aufführung in dieser Reihe, ob „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder Kroetzens „Furcht und Elend in Deutschland“ präsentiert ein eigenes ästhetisches Konzept.

Wer durch die weite Theaterlandschaft wandert, die das Team um Manuel Schöbel vor dem hochverehrten jungem Publikum ausbreitet, wird es schwer haben, eine künstlerische Mitte zu finden. Für Schöbel ist die Vielfältigkeit Programm. „Wir werden immer gefragt: Was macht ihr denn Besonderes? Und darauf kann ich nur antworten: Wir machen alles. Ob Märchen oder Musical, ob klassisches Theater oder kritisches Zeitstück – für Kinder muss alles da sein.“ Und so steht das carrousel Theater in gewisser Weise in der Tradition der guten, alten sozialistischen Kulturpolitik. Denn es stellt das Kinder- und Jugendtheater nicht ins Abseits des Weihnachtsmärchens, sondern nimmt die Gattung in seiner ganzen Vielfältigkeit ernst .

Jubiläumsfest am Sonntag ab 12 Uhr im Lichtenberger Stadtpark