Philosophischer wohnen

Hier die Fronten der Sixties, dort urbaner Pop, Globalisierung und Neue Mitte: Die Ausstellung „HausSchau – Das Haus in der Kunst“ in den Hamburger Deichtorhallen
von HARALD FRICKE

Im Amsterdamer Stedelijk-Museum ist zurzeit eine Skulptur von Hubert Kiecol zu sehen. Sie heißt „Palast Mädchen“ und besteht aus einem raumgroßen Stahlgerüst mit eingefassten Glasscheiben, die wie halb geöffnete Dachluken oberhalb der Konstruktion angebracht sind. Vielleicht ist es eine geschweißte Lichtarchitektur, ein umgewidmetes Pflanzenhaus oder einfach eine kinetische Spielerei mit den Materialien zeitgenössischer Baukultur. Schön sieht es jedenfalls aus.

In den Hamburger Deichtorhallen steht nun das gleiche Kiecol-Modell, diesmal unter dem Titel „Was geht mich was an?“. Dort ist es allerdings ein Beitrag zu der Ausstellung „HausSchau“, die sich mit dem Haus in der Kunst beschäftigt. Einfallslosigkeit kann man dem aus Bremen stammenden Bildhauer dabei nicht vorwerfen, wenn er die Kunsthallen in Amsterdam und Hamburg parallel mit Objekten versieht. Schließlich ist Kiecol in den 80er-Jahren mit stets gleichformatigen Standardhäusern bekannt geworden, die er schmucklos in Beton gegossen hat. Das Serielle gehört bei ihm zum Konzept. Aber man fragt sich schon, wie weit der Bogen heutiger Gruppenausstellungen gespannt wird: Liefern Künstler bloß Illustrationen zu wandelnden Themenschwerpunkten ab, die sich am Ende durch die Künstlerwahl auch nicht sonderlich unterscheiden?

Dabei ist „HausSchau“ ein ambitioniertes Projekt, das den Hamburger Architektursommer künstlerisch begleiten soll. In den Deichtorhallen, so schreibt Zdenek Felix als Hausherr im Katalogvorwort, möchte man zeigen, „wie Künstlerinnen und Künstler sich in den letzten drei Jahrzehnten mit den ästhetischen, funktionalen, gesellschaftlichen, kontextuellen und nicht zuletzt auch ökologischen Aspekten von Haus und Behausung in ihren Werken auseinandersetzen“. Wenn man Bauen, Wohnen und Denken solchermaßen als philosophische Grundlage der Ausstellung begreift, sind nicht nur die 33 eingeladenen Positionen, sondern praktisch alle KünstlerInnen gefordert: Hat nicht auch Andy Warhol Siebdrucke mit Gebäuden produziert? Sind nicht Sol-Lewitts Minimal-Art-Skulpturen irgendwie Beiträge zur Architekturdebatte der Sechzigerjahre? Und was ist mit der Teeküche im Rucksack von Rirkrit Tiravanija?

Tatsächlich sind klare Verbindungslinien in Hamburg schwer zu finden. Dass gleich im ersten Raum Gordon Matta-Clarks zersägte Hauswände neben Dan Grahams verspiegelten Pavillonentwürfen untergebracht sind, spricht für die Fronten der Sixties: Hier der Bruch mit der urbanen Ordnung, dort die Utopie eines Lebens in halböffentlichen Räumen – Privatheit hinter Glas. Dann aber biegt man um die Ecke und steht vor Kiecols Installation: Ist seine gläserne Gartenlaube womöglich auch ein ironischer Kommentar auf Grahams Sinnstiftung in Sachen Community?

Mitunter heben sich die Gegensätze gleich ganz auf. So wirkt die karge Wohnwabe des 1994 verstorbenen französischen Künstlers Absalon wie ein Beistellobjekt neben den zwei raumfüllenden Holzpavillons des in Hamburg lebenden Briten Stephen Craig-Martin. Während Absalon mit seinen weißen Zellen beim Betrachter die Aufmerksamkeit für den Widerspruch zwischen Kunstcontainer und Lebenswirklichkeit schärfen wollte, stellt sich bei Craig-Martin eher eine gut gelaunte Stadtteilfeten-Atmosphäre ein: Im einen Pavillon laufen Slapstickfilme mit Architekturbezug, der andere zeigt eine Dokumentation zur Innenstadtplanung in Kassel. Die Zusammenschau rückt beide Ansätze allerdings nahe ans Sozialdekor.

Ähnlich schwierig ist die Abteilung mit Fotografien zum Hausbau. Andreas Gurskys Arbeit „Montparnasse“ mit Massenwohnblöcken im Le-Corbusier-Stil hängt Wand an Wand mit den Typologien von Bernd und Hilla Becher, deren Aufnahmen von Giebelhäusern aus deutschen Kleinstädten eher den Nachkriegsmuff dokumentieren. Dabei sind die Bechers an Neutralität im Umgang mit Architektur interessiert, Gurskys Fotos aber leben von der raffinierten Kameratechnik und Perspektive: Für die Monumentalarchitektur im Pariser Techno-Vorort „La Defense“ benutzt er Spezialobjektive, in Hongkong fotografiert er die Banktower nachts, wegen der verzwickten Beleuchtungsverhältnisse im Inneren.

Dass beide Herangehensweisen nebeneinander bestehen können, liegt wiederum an der geschickten Motivwahl und an der souverän inszenierten Bildsprache der Fotografen. Dann ist es allerdings irritierend, im nächsten Raum Marin Kasimirs 360-Grad-Aufnahmen vom Abriss einer Siedlung in Argonne und Stephane Couturiers gestochene Baustellenfotografien in einem ähnlichen Querbezug wieder zu finden. Wo sich Kasimir für das Allover der Destruktion interessiert, schaut Couturier sehr ästhetisch in den Bauch der Architektur. Natürlich geht das Haus in der Kunst auch mit urban pop, Globalisierung und Neuer Mitte einher. Franz Ackermann etwa spickt seine Ikonografie der Metropolen mit flashigen Mustern, in die sich wiederum Stadtpläne aus Asien mischen. Michel Majerus hat ein von Rüdiger Schöttle entworfenes Kabinett rosa angemalt und mit Werbesprüchen wie „don’t accept excuses – demand the best“ signiert. Und Manfred Pernice hat eine rührend ärmliche Rigipshütte gezimmert, auf deren Außenwand eine trübe Stadtparkansicht als Diakasten leuchtet. Andrea Zittels blank polierte Wohnwagen sind funktional und für reisende Künstlerexistenzen konzipiert, Julian Opies Bauklotzkirchen kommentieren recht ironisch den Gebrauch von Computern in Architekturbüros. Wie im Alltag setzt sich das Haus in der Kunst eben aus Vielheiten zusammen. Oder aus acht mal achtzig Dias zum Fassadenschick auf Island bei einem Recherchefetischisten wie Dieter Roth.

Dem Hausbau am nächsten ist das Projekt von Rachel Whiteread. 1993 hat sie in zäher Kleinarbeit die Innenräume eines Abrisshauses abgegossen und an die Stelle des ursprünglichen Gebäudes gestellt. Als Mahnmal gegen die Willkür Londoner Stadtplanung und Gentrifizierung. Der zuständige Bezirksbürgermeister hat den Wink der Künstlerin verstanden und auch ihre Skulptur plattmachen lassen.

Der Skandal war groß, zumal Whiteread für ihre Aktion den Turner-Preis bekam. Geblieben ist eine Dokumentation von „House“: Zwölf Fotos spiegeln den Kampf mit dem Beton und den Köpfen hinter dem Beton wieder. Auf einem Bild sieht man den massiven grauen Block, der vorher Innenraum war. Auf die Seitenwand hat jemand ein Grafitto geschrieben: „Wat for“. Das letzte Foto zeigt eine leere grüne Wiese. Das Haus ist weg. Nur durch die Kunst wird man sich daran erinnern.

Bis 17.September in den Deichtorhallen in Hamburg. Der Katalog ist bei hatje cantz erschienen und kostet 38 DM.

Hinweis:Ist eine gläserne Gartenlaube womöglich auch ein ironischer Kommentar auf Dan Grahams Sinnstiftung in Sachen Community?