Werte vorleben statt predigen

betr.: „Mehr Mut in der Debatte“ (Einwanderungsland Deutschland, Grüne müssen auch eine geregelte Armutsimmigration forcieren), taz vom 19. 5. 00

[...] Wenn die Herstellung größerer sozialer Gerechtigkeit (zumindest für die kleine Zahl der Einwandernden) das Ziel eines solchen Vorstoßes ist, sollte allerdings auch darauf geachtet werden, dass die Mittel dem Ziel angemessen sind.

[...]Natürlich wäre zumindest begrenzte Solidarität seitens der „ärmeren Schichten der ethnisch deutschen Bevölkerung“ (Brumlik) gegenüber noch wesentlich ärmeren Menschen aus anderen Ländern, anstelle von „Neidreflexen“, wünschenswert. Ein solcher Einstellungswandel wird aber sicherlich nicht durch moralische Zeigefingerappelle seitens gutbürgerlicher wohl situierter Grünen-Abgeordneten und Parteivertretern oder eine Debatte mit entsprechenden Tönen, wie Brumlik sie anschlägt, herbeigeführt.

Wenn die Grünen als Partei mit eher bürgerlich-bessergestelltem Mitgliederprofil zu dem richtigen Schluss kommen, gegenüber den Armen in der Dritten Welt sei größere praktische Solidarität von nöten, sollten sie sich zuallererst fragen, was sie selbst dafür tun könnten, das heißt über Regelungen nachdenken, die hauptsächlich von denen getragen werden, die dazu auch in der Lage sind. Sie sollten ihre Werte vorleben statt predigen. [...]

Wie die Untersuchungen beispielsweise Wilhelm Heitmeyers darlegen, sind für Nationalismus, Fanatismus jeglicher Art insbesondere diejenigen, ob „ethnisch deutsch“ oder nicht, Teile der Bevölkerung empfänglich, die über längere Zeit hinweg das Gefühl haben, auf dem Abstellgleis gelandet zu sein, keine Chancen mehr zu haben und darauf keinen Einfluss zu haben. Eine Politik, die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und religiösem Fanatismus entgegenwirken will, muss auch diesen Menschen, sowohl durch die Art und Weise, wie zu ihnen gesprochen wird, als auch natürlich durch tatsächliche praktische Politik, das begründete Gefühl geben, sich als dazugehörig anzusehen. [...]

MANFRED HÜBNER, Mannheim

Warum, um alles in der Welt, soll Deutschland Armutsimmigration forcieren? Damit ist doch keinem gedient, weder den potentiellen Einwanderern noch den Inländern. Den meisten Immigranten gefällt es vermutlich in ihrem Heimatland viel besser als hier. Für sie ist Emigration nur ein Notbehelf, um ihre materielle Situation zu verbessern. Deshalb muss es das Ziel der wohlhabenden Länder sein, durch Entwicklungshilfe die Lebenssituation in den Herkunftsländern potenzieller Immigranten zu verbessern und diese dadurch zum Bleiben zu veranlassen. Die 62 Prozent der deutschen Jugendlichen, die laut Shell-Studie meinen, es lebten bereits zu viele Ausländer im Land, würden vermutlich angesichts geförderter Armutsimmigration auch nicht in Jubelschreie ausbrechen. „Forcierte Armutsimmigration“ ist geradezu prädestiniert, den Nährboden für noch größere Antipathie gegenüber Zuwanderern zu bilden, und ist insofern kontraproduktiv. [...]

Ist sich Micha Brumlik im übrigen über die Konsequenzen der von ihm vorgeschlagenen Arbeitsmarktpolitik im klaren? Die Schaffung von geringer als bisher bezahlten Arbeitsplätzen bedeutet nämlich zwangsläufig die Absenkung des Sozialhilfeniveaus, wenn man sicherstellen will, dass sich überhaupt Bewerber für diese Jobs finden. Ist es das, was Micha Brumlik will?

ULRICH RÖMER, Velbert

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.