Die Heulsusen

Mit Bands wie The Get Up Kids kommen Emocore und Jungs mit Gefühlen wieder aus den Jugendzentren hervor  ■ Von Felix Bayer

„What the hell is Emo?“, fragt das englische Pop-Magazin Select in seiner Mai-Ausgabe. „Eine Art Punk mit Gefühl“, gab das Kölner Blatt Intro schon im November als Antwort. Das mag als Arbeitshypothese genügen, um sich einem immer populäreren Genre zu nähern, das jahrelang in einem abgeschlossenen Underground der Fanzines, Jugendzentrumskonzerte und limitierten Vinylveröffentlichungen vor sich hin existierte: Emocore.

Der Geburtsmythos des Begriffs geht so: Ein Interviewer des Fanzines Flipside meinte 1985 zu Ian MacKaye, dass dessen Band Embrace ja irgendwie „emo“, also emotional, klänge. MacKaye, zuvor bei den Washingtoner Hardcore-Helden Minor Threat, meinte nur: „Hä?“. Aber der Name blieb hängen. Neben Embrace werden auch Dag Nasty und Rites Of Spring als Ur-Vertreter des Emocore genannt: Bands, die sich von den Regeln der reinen Hardcore-Lehre eingeschränkt fühlten, musikalisch wie emotional.

Emocore erlaubte sich Tempowechsel und Melodien, ohne die Dynamik des Punk zu verlieren. Emocore erlaubte seinen Sängern, zerbrechlich und verloren zu klingen, ohne in Sentimentalität zu gleiten. Dabei wurde aber die Unabhängigkeit und der Gemeinschaftsgedanke des Hardcore bewahrt. Besonders plastisch zu sehen an Fugazi, der Band, die Ian MacKaye mit Musikern von Rites Of Spring bildete: Selbst in größeren Clubs bestanden Fugazi auf Jugendzentrums-Eintrittspreisen und frühem Konzertbeginn, damit auch minderjährige Fans kommen konnten.

Seit den frühen Neunzigern war Emocore dann für die Medienöffentlichkeit vergessen (abgesehen von gelegentlichen Artikeln über Sunny Day Real Estate und abgesehen von den Fanzines natürlich). Grunge war wichtiger, LoFi-Indie-Rock war wichtiger, Bubblegum-Punk war wichtiger. Aber im Underground existierte Emo weiter, besonders in den USA: Bands kamen, nahmen ein, zwei Platten auf und gingen. Und die weißen Vorstadtkids, die deren Konzerte sahen, blieben. Sie blieben auch als Spottobjekte für die Hardcorefans. Deren Klischee-Emokid sieht so aus: Hornbrille, Tankstellenjacke, heult auf Konzerten. Doch von diesen gar nicht harten Jungs gibt es immer mehr: Immer besser besuchte Konzerte von Bands wie Braid, Promise Ring, At The Drive-In oder Jimmy Eat World führten in den USA zu Majorlabel-Interesse und in Europa zu Sammelgeschichten in der Musikpresse. In denen fehlen auch nie die Get Up Kids, Anfang 20 und aus Kansas.

Und dann das: Gegenüber der englischen Musikzeitung NME distanzieren sich die Get Up Kids vom Emocore: „Da muss ich immer an Leute denken, die über die Bühne kriechen und schlechte Lyrik schreien“, spottet Gitarrist Jim Suptic und sieht seine Band eher als College-Rock an. Musikalisch hat er da gar nicht so unrecht: Zwar sind die Songs auf dem aktuellen Album Something To Write Home About durchaus von einer emo-artigen Dringlichkeit beseelt, aber zugleich herrscht eine leichte Grundstimmung, die an Indie-Rocker wie Superchunk erinnert. Und auch die Emo-Fans, die die Underground-Jahre mitgemacht haben, finden die Get Up Kids zu poppig. Was wiederum zwangsläufig zu Ausverkaufs-Vorwürfen führt.

Jemand auf einem Internet-Messageboard hat da eine sehr schöne Theorie: Es sei nur in der westlichen Welt nötig, den emotionalen Gehalt von Musik mit Genre-Begriffen wie Blues, Soul oder eben Emo zu kennzeichnen. Das hätten die ursprünglichen Vertreter gar nicht nötig gehabt. Also verhielten sich die Get Up Kids zu Rites Of Spring wie die Sänger des Motown-Labels zu den singenden Sklavenkindern der Legende. Da haben wir es also: Die Get Up Kids sind die Supremes des Emocore. Erwarten wir nicht existenzielles, authentisches Drama von ihnen, sondern melodische, mitreißende Songs. Schließlich tragen ja auch nur zwei der fünf Musiker Hornbrillen.

mit The Anniversary: Mo, 29. Mai, 21 Uhr, Molotow