Stützstrümpfe und Döner

■ Beirat will die Waller Heerstraße zur Einkaufsmeile aufwerten / Öffentliche Diskussion wird heute abend geführt / Geschäftsleute uneinig über Qualität der Straße

Wenn Hans-Peter Mester vom Ortsamt West Lust auf türkisches Essen bekommt, muss er nur ein paar Schritte die Elisabethstraße entlanggehen, und schon ist er an der Waller Heerstraße. Bevor Mester zum Döner-Mann abbiegt, macht er ein kleines Päuschen. Und sieht auf der anderen Straßenseite folgende Szenerie: Tattoo-Laden, Quik Shop, Widi-Electronic, New Thepana Shop, Selam Market. Die Fassaden sind rissig. Dafür gibt es dicke Melonen.

Aus dem Ortsamt, das Mester kommissarisch leitet, kommt nun die Anregung, die Waller Heerstraße zum Untersuchungs- und damit zum Problemgebiet zu erklären. Mester erkennt „deutliche Verfallserscheinungen“ zwischen Waller Ring und dem Gebäude der Post, er vermisst qualitätvolle Schaufenster und gepflegte Fassaden. Der – auch soziale – Abwärtstrend sei seit Jahren spürbar. Jetzt haben sich Ortsbeirat und Stadtplaner eingeschaltet. Und die Geschäftsleute, die sehr deutlich sagen, woran ihnen gelegen ist.

Siegfried Pätsch, der ein Sicherheitsfachgeschäft betreibt und den vereinigten Waller Händlern vorsteht, fürchtet orientalische Verhältnisse. „In zehn Jahren ist es hier so ähnlich wie in Istanbul“, sagt er. Und: Die türkischen Geschäftsleute müssten sich an die deutschen Standards anpassen. Es müsse so sauber sein, „wie sich das für eine Hauptstraße gehört“.

Etwas moderater klingt es aus dem Ortsbeirat: Die vielen ausländischen Geschäfte seien nicht verkehrt, es komme aber auf den richtigen Mix insgesamt an, meint Bauausschußmitglied Wolfgang Golinski (SPD). Er wünscht sich, dass die Waller Heerstraße als „Nebenzentrum“ aufgewertet wird. Wie Sicherheitsverkäufer Pätsch freut er sich über das Walle-Center mit seinen 43 großen und kleinen Läden, das seit seiner Eröffnung im Oktober 1999 so richtig brummen soll.

Doch im Vergleich zur gelblich-braunen Endlosarchitektur des Einkaufszentrums wirkt der verbliebene Rest des Straßenzuges sehr wohl durchmischt. Gut, es gibt mehr Dönermänner, Gemüsehändler und Im- und Exportläden als anderswo. Spielparadiese sind ordentlich vertreten, und manche Lokalitäten tragen viel sagende Namen („Volle Pulle“). Auch ein Puff ist im Angebot. Doch genauso kann man hier seine Brötchen kaufen, Stützstrümpfe oder eine neue Wohnzimmerlampe.

Allerdings: Eine Hand voll Ladenlokale steht immer leer, und diverse alteingesessene Läden haben dichtgemacht. Das Walle-Center machen Geschäftsleute und Beiratsvertreter für die Situation allerdings nicht verantwortlich. Eher hohe Mieten und falsche Geschäftspolitik.

Was hat es also mit der ersehnten „Aufwertung“ auf sich? Das möchte Stadtplanerin Jutta Formella auf der heutigen Beiratssitzung in aller epischen Breite erklären (19 Uhr, Aula Schulzentrum Waller Ring, Steffensweg 210). Für sie ist die Waller Heerstraße mit seinen vielfältigen Nutzungen „ein sehr interessantes, lebendiges Gebiet“. Gleichwohl gebe es Verwahrlosungstendenzen – insbesondere in Gestalt leerstehender Geschäftslokale. Hier sei die Wirtschaftsförderung gefragt.

Die Bremer Baudeputation hat das Areal inzwischen als „Untersuchungsgebiet“ ausgeflaggt – man schaut nach, ob es sich hier um einen Sanierungsfall handelt. Das hat aus Formellas Sicht den Vorteil, dass man eher Fördermittel bekommt. Vielleicht, um Fassaden zu sanieren, Vorgärten zu entsiegeln oder den einen oder anderen Baum zu pflanzen. Detailarbeit.

Aus stadtplanerischer Sicht ist neben der baulichen Substanz und den Nutzungsstrukturen auch die Frage des „öffentlichen Raums“ von Bedeutung – Mangelware an der Waller Magistrale. Das privatwirtschaftliche Einkaufszentrum bietet Pseudo-Öffentlichkeit, indem man Randgruppen vor den Türen hält. Ein ordentlicher öffentlicher Platz fehlt.

„Durch uns wird Walle doch überhaupt erst lebendig“, sagt Selahattin Gencer, Inhaber eines Reisebüros. Und falls es daran Kritik gebe, dann habe man davon öffentlich noch gar nichts gehört. Das finde er „unfair“. hase