Sergio Leone meets Postrock

■ Nur wenige hatten das Vergnügen, im Tower dem ausgezeichneten Konzert von Das Weeth Experience zu lauschen

Nur selten muss sich die Autorenschaft dieser Seiten so sehr auf die bisweilen eher theoretische Übung einlassen, für Menschen zu berichten, die die entsprechende Veranstaltung nicht besucht haben. „Wir schaffen es schon noch, diesen Laden leer zu spielen“, witzelte Christof Jessen, Gitarrist und Sänger von Das Weeth Experience nach dem Konzert. Zum dritten Mal war seine Band jetzt schon im Tower, und der Besuch war an den Fingern zweier Hände abzuzählen.

Aber Das Weeth Experience ficht das nicht an. Auch wenn sie in diesem Jahr auf der Musikmesse „SXSW“ in Austin/Texas vor vollem Haus spielten. Auch wenn sie seit mindestens sechs Jahren – da erschien ihr erstes Album – die Ochsentour durch die Klubs und Kaschemmen dieser und anliegender Republiken unternehmen. Sie freuen sich, wenn sie nicht draufzahlen müssen, wie Horst Nowack, ihr Bassist erzählt. Dabei ist das natürlich eine echte Schande, denn Bands wie diese gibt es zwar, denken wir in ökonomischen Kategorien, zuhauf. Musikalisch allerdings kennt Das Weeth Experience seinesgleichen kaum.

Die immer wieder bemühten Namen sind Neil Young, die Wüsten-Clique um Giant Sand, Calexico und Friends Of Dean Martinez sowie in jüngerer Zeit, etwas hilflos mit ausladenden Formen und filmmusikalischer Qualität ringend, die Postrock-Erfinder Tortoise. In gehöriger Entfernung zu den Genannten breitet sich Das Weeth Experience aus, und zwar gehörig.

Es gibt viele Geräte, mit denen sich der Klang einer E-Gitarre verbiegen, verzerren, zerpflücken und vervielfältigen lässt. Christof Jessen hat ungefähr 80 Prozent von ihnen vor sich, wenn er Gitarre spielt. Die restlichen 20 Prozent hat Bassist Nowack zu seinen Füßen stehen. Er benutzt sie eher selten, während Jessen sich tief hineinkniet, nicht nur in einem übertragenen Sinn. Die Art, wie er den Sound manipuliert, vervielfältigt, zerstört und wiederherstellt, wie er die Gitarre kontrolliert rückkoppeln lässt – das ist es, was tatsächlich an Neil Young denken lässt. Jessen hat jedoch eine eigene Handschrift. In seinem Spiel klingt etwas von jenen beinahe gigantischen Gitarren, wie sie in Filmen von Sergio Leone die Wüstensonne verdunkeln. Es schwingt aber auch der Duane-Eddy-Twang mit, der nicht erst seit einem Film von David Lynch Assoziationen zu blauem Samt und halbweltener Tristesse erlaubt.

Chris Isaak, bekannt für die intensive Ausbeutung dieses Sounds, sang vom „Blue Hotel“, dessen Ackorde Das Weeth Experience mit dunkel verhangenen Untertönen anspielt. Schlagzeuger Jens Petri und Bassist Nowack spielen zuverlässig, kraftvoll, während Jessen Schicht auf Schicht tosende Feedbacks türmt, mit dem Tremolo-Hebel seiner Halbakustischen an den Tönen zerrt und singt, meist mit seiner Gitarre, seltener mit seiner Stimme.

Solchermaßen verwandelte Das Weeth Experience die verstreute Handvoll schließlich in ein gebannt zuhörendes, begeistertes Publikum. Und fast, als seien sie selbst von der Wirkung ihrer Musik überrascht, legten die Hamburger noch ein paar Stücke drauf. Um Mitternacht trieb der auffrischende Wind ein Tumbleweeth den Herdentorsteinweg hinunter. Lichter huschten über den Horizont. Seltsam? Das wissen nur die, die dort waren ... Andreas Schnell