Giro della Provincia

Herzerfrischend lustlos treten Topteams wie Mapei und Polti zur morgen beginnenden Deutschland-Tour an, nur die Mannen von Telekom sind dazu verdammt, Sponsoren und Publikum Genüge zu tun

von JÖRG FEYER

Doch, sie hatte ihre Momente, die Premiere der reaktivierten Deutschland-Tour nach 17-jähriger Pause. Da war etwa „Zabels Albtraum“ (Veranstalter), ein junger Sprinter mit Namen Jimmy Casper, der sein Vorderrad gleich viermal einen Tick eher als der von ihm verehrte Lokalmatador über den Zielstrich streckte und ernsthafte Zweifel an Erik Zabels Spurtqualitäten nährte. Da war ein annulliertes Zeitfahren, das mit Blitz und Donner, Orkanböen und Sturzbächen selbst lang gedienten Profis zusetzte. Da war auch der Sturz von Jan Ullrich, der ihn 1999 um die Tour de France brachte.

Und dann war da noch dieser Moment, der die sportliche Wertigkeit drastisch vor Augen führte. Hartmut Bölts war als Sat.1-Reporter auf dem Motorrad an den Mannschaftswagen des italienischen Topteams Mapei herangerauscht, um mal zu fragen, ob denn heute mit einer Attacke seines Klassesprinters Tom Steels zu rechnen sei. Woraufhin Teamchef Patrick Lefevre nur mit den Schultern zuckte und sinngemäß murmelte, dass Steels erst bei der Tour de France von der Leine gelassen werde. So war das, so wird es sein, solange die Deutschland-Tour im Radsportkalender gegen den Giro d’Italia antreten muss und von ausländischen GS1-Teams bestenfalls als Vorbereitung für höhere Aufgaben betrachtet, wenn nicht ganz ignoriert wird. Und all jenen, die nach einem harten Frühjahr regenerationsbedürftig über den Asphalt radeln, dürfe man „es nicht zu schwer machen“, das hat auch Team-Telekom-Chef Walter Godefroot erkannt.

Mapei kann seine mit Stars gespickte, 39-köpfige Truppe noch bequem in zwei Mannschaften aufteilen, ohne hier oder da gleich im Hemd dazustehen. Lefevre stellt sogar in Aussicht, man komme nicht mit Fahrern wie Johan Museeuw und Michele Bartoli nach Deutschland, „um hinterherzufahren“. Polti schickt Buhmann Richard Virenque auf die Reise von Bonn nach Berlin, der sich im Oktober in Lille als einziger Aktiver des Festina-Teams der Tour de France 1998 wegen Dopings vor Gericht verantworten muss. In Italien soll Virenque immer noch nicht sonderlich populär sein.

Andere Mannschaften können sich solche Spielchen erst gar nicht erlauben. La Francaise des Jeux etwa entschied sich gegen die Deutschland-Tour, obwohl doch Jimmy Casper für die französische Lotterietruppe fährt. Der Sprinter hätte eigentlich zwangsverpflichtet werden müssen, zumal der Veranstalter schon mit der Fortsetzung der „Romanze“ zwischen Casper und Zabel kokettiert hatte: „Liebling, ich spüre deinen heißen Atem!“, lautete eine Werbeüberschrift.

Das Team Telekom wird vor allem den Druck spüren, vor heimischer Kulisse ums Gesamtklassement zu fahren, bedrängt von den hiesigen GSII-Teams, die bei ihrem Saisonhöhepunkt um die Gunst von (Co-)Sponsoren buhlen. Telekom tritt denn auch mit einer Mannschaft an, die fast Tour-de-France-würdig ist, inklusive Jungstar Andreas Klöden und Zabels neuer Spurtlokomotive Gian Matteo Fagnini.

Womöglich hat sich Zabel deshalb zu der kühnen Prognose hinreißen lassen, die Deutschland-Tour werde sich „in zwei, drei Jahren mit der Tour de Suisse um Platz vier in der Welt streiten“. Erst mal schließt sie nur zur Österreich-Rundfahrt auf, nachdem der Weltverband UCI für den leicht erhöhten Schwierigkeitsgrad eine Kategorie draufsattelte (von 2.4 auf 2.3). Als Königsetappe gilt die dritte Etappe am Sonntag von Pforzheim nach Bad Dürrheim, die am Kandel in 1.240 Meter Höhe mit der einzigen Bergwertung der 1. Kategorie aufwartet. Telekom-Fahrer Jörg Jaksche, der drei Tage später auch in seinen Heimatort Ansbach einrollen darf, prophezeit schon mal „ein Gemetzel“.

Das überträgt Sat.1 wie im Vorjahr live, jedenfalls sofern es zwischen 16 und 18 Uhr stattfindet. Erst nach der Tour, so PR-Frau Brigitte Schmidt, werde der Sender über die Option für 2001 entscheiden. 1999 erreichte Sat.1 in der werberelevanten Zielgruppe (14 bis 49 Jahre) einen Marktanteil von im Schnitt 10 Prozent und war damit „zufrieden“ (Schmidt). Dass eine Steigerung für ein weiteres Engagement im Radsport wünschenswert ist, wird aber nicht verhehlt. Und wer soll die bringen? Klar: Jan Ullrichs erster Deutschland-Auftritt in diesem Jahr natürlich. Der sei „dramaturgisch interessant“ (Schmidt).

Ein richtiges Drama wird aber wohl nur draus, wenn den Merdinger – eben noch bei der Rundfahrt Midi Libre mit über 30 Minuten Rückstand und drei Kilogramm zu viel ausgestiegen – auch die Steigungen der Deutschland-Tour überfordern sollten. Hauptsache, er fällt nicht wieder ganz vom Rad.