Die Angst der Kunden

Die Fachmesse „Internet World“ zeigt in Berlin die Standardtechniken des E-Commerce

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Zum 4. Mal hat das Münchner Medienunternehmen „ComMunic“ in dieser Woche nach Berlin zu einer Messe geladen, die zwar „Internet World“ heißt, sich aber – und diesmal besonders ausdrücklich – keineswegs an alle Welt richtet, sondern an ein ausgesuchtes Publikum von Fachleuten des Mittelstandes, des Einzelhandels vor allem, der sich auf den E-Commerce umstellen muss, ob er nun will oder nicht.

Die Selbstbeschränkung hat sich bewährt, die Messe, die heute zu Ende geht, hat deutlich an Profil gewonnen. Schuld daran ist nicht der Veranstalter, sondern die Entwicklung des Internets selbst. Nicht mehr die technischen Pioniere, auch nicht mehr Visionäre eines neuen, digitalen Zeitalters stehen heute im Zentrum des Interesses. Sie sind abgelöst worden durch die erste ziemlich nüchtern denkende Generation der praktischen Anwender.

Über 500 Firmen haben in den Messehallen gezeigt, wie sie sich die allernächste Zukunft des Internets vorstellen. Sie ist bunt, aber dennoch seltsam eintönig. Die Standardlösungen für das Webdesign setzen sich durch. Es hat sich gezeigt, dass zwar das Medium neu ist, die Gewohnheiten seiner User aber die alten geblieben sind, vor allem dann, wenn sie als Kunden betrachtet werden, die im Internet etwas kaufen sollen, sei es Informationen, Unterhaltungen oder auch handfestere Güter. Deshalb ist es nicht mehr notwendig, jedes Mal von vorn zu beginnen, wenn noch eine Firma den digitalen Markplatz betritt. Die großen Vorbilder wie „amazon.com“ oder „eBay“ haben die Grundelemente des elektronischen Kaufhauses definiert. Hunderte von ebenfalls mittelständischen Softwareentwicklern bieten heute beinahe gebrauchsfertige Baukästen an, die alles enthalten, was sich einigermaßen bewährt hat: Navigationsinstrumente, Software für den Warenkorb und die Routinen der Bestellung, dazu kommen so genannte Redaktionssysteme für die Aktualisierung der Website, aber auch Instrumente für die Kundenpflege, Hotlines und Datenbanken mit Käuferprofilen etwa.

Anders als die Cebit, die kaum noch als Konkurrenz gilt, versucht die Internet World gar nicht erst, mit Höchstleistungen zu glänzen. Die nun auch für kleinere Unternehmen verfügbare Technik animierter, dreidimensionaler Figuren wirkt in diesem Rahmen bereits als gewagte Avantgarde. Trotz des spektakulären Auftritts der digitalen Verkäufermaskottchen war der Stand der Anbieterfirma keineswegs stärker umlagert als andere, die nur vorzeigen konnten, was ohnehin überall zu sehen ist.

Wichtiger als die Schau sind auf der Interent World die Diskussion und der Fachvortrag. Zehn Workshops insgesamt und mehrer Podiumsdiskussionen täglich befriedigten das Bedürfnis nach praxisnaher Information aus erster Hand. In deutlichem Kontrast zur Aufmerksamkeit in den Massenmedien spielt hier die nächste Generation der Internetgeräte, das WAP-Handy und die Breitbandsendungen für das interaktive Fernsehen, nur eine Nebenrolle. Eine einzige Podiumsdiskussion war dem neuesten Schlagwort des „M-Commerce“ gewidmet – der gute alte E-Commerce enthält noch ungelöste Probleme genug.

Der Kunde nämlich und erst recht die Kundin haben sich als überaus widerspenstige, schwer zu verstehende und kaum zu berechnende Größen erwiesen. Überaus häufig bleiben sie einfach weg, weil sie genau dem misstrauen, was bei den Verkäufern als besonderer Vorteil des Onlinehandels gilt: die einfache Auswahl per Mausklick, das Bezahlen am PC und die Möglichkeit zielgenauer, personalisierter Angebote. Das „Customer Relationship Management“ hat sich als eigene Unterdisziplin in der Wissenschaft des digitalen Verkaufens etabliert. Sein wichtigstes Ziel ist es, die Schnupperkunden, die nur aus Neugier vorbeischauen und sich höchstens trauen, ein paar Mark auszugeben, zum zweiten Kauf zu bewegen und die Bindung aufzubauen, die wir an das herkömmliche Fachgeschäft haben. Insbesondere warnen die Experten davor, die so genannte Personalisierung zu weit zu treiben. Dass ein vollautomatischer Verkäufer im Onlineladen mehr über mich weiß als meine besten Freunde, wirkt nicht als verkaufsförderndes Argument.

Welche Strategien also haben Erfolg im Onlinehandel? So war eine der Podiumsdiskussionen überschrieben, die eine über die Allgemeinheit der Frage hinausgehende Aktualität gewann. Geladen war auch Christoph Vilanek, Geschäftsführer der Firma boo.com. Er wollte über das „Fashiontainment im Web“ sprechen. Doch dazu kam es nicht. Der Referent fiel aus, seine Firma hat letzte Woche eine 130 Millionen Dollar schwere Pleite hingelegt. Der Schock steckt der ganzen Branche in den Knochen, und Nicole Vanderbildt, Vizepräsidentin der New Yorker Beraterfirma Jupiter Communications, führte, mit harten Zahlen untermauert, aus, dass tatsächlich so etwas wie ein „digitaler Winter“ hereingebrochen sei. Die Indizes der Internetaktien weisen seit Wochen stetig nach unten. Plötzlich lassen nicht nur die Kunden, sondern auch die Anleger die Finger vom Onlinegeschäft.

Ob damit eine lang anhaltende Krise begonnen hat, will noch niemand voraussagen – und auf einer Messe wie der Internet World sieht es eher nicht danach aus. Die Mittelständler, die hier die Meinungen bestimmen, haben ohnehin nie an die fantastischen Versprechungen geglaubt. „boo.com“ ist nicht am Internet gescheitert, sondern daran, dass auch ein Onlineversandhandel für Mode seine Ware in der analogen Welt ausliefern muss. Die Probleme der Logistik sind nicht neu. Das Internet macht zwar auch auf diesem Gebiet Rationalisierungen möglich, aber sie sind lange nicht so aufregend wie die immer perfekteren Websites der Onlinehändler. Wer auf Dauer davon profitieren will, muss ein gesamtes Offlinegeschäft neu organisieren und braucht geduldige Investoren. Nicole Vanderbilts Analysen zeigen zudem, dass die Ernte nur zu einem geringen Teil im Internet selbst eingefahren werden kann. Wichtig ist nur, dass dort über ein Produkt gesprochen wird. Das ergibt sich aus Statistiken, wonach die Zahl der Käufe, die mit Hilfe von Informationen über ein Produkt aus dem Internet vollzogen werden, um ein Vielfaches höher liegt als die Zahl der unmittelbaren Onlinebestellungen. Offenbar reicht uns die Maus nicht. Wir wollen selbst in den Laden gehen.

niklaus@taz.de