Israelischer Abzug im Eilschritt

Die letzten israelischen Soldaten haben gestern den Süden Libanons verlassen. Doch die schiitische Hisbullah-Miliz betrachtet den Rückzug noch nicht als abgeschlossen. Sechs in den vergangenen Tagen getötete Libanesen sollen gerächt werden

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Von einem „historischen Tag“ sprach Israels Stabschef Schaul Mofas angesichts des gestern abgeschlossenen Abzugs aus der so genannten Sicherheitszone im Südlibanon. Die militärische Operation „Geduld“ sei über Monate „bis ins letzte Detail“ vorbereitet und nun erfolgreich ausgeführt worden. Gegen 2 Uhr morgens hatte der letzte israelische Soldat libanesischen Boden verlassen. Insgesamt waren in der Nacht knapp 1.000 Soldaten aus zwölf Armeestützpunkten evakuiert worden. „Die israelische Verteidigungsarmee hat ihre Söhne nach Hause geholt“, erklärt Mofas siegessicher und ungeachtet der sich in den vergangenen Tagen überstürzenden Ereignisse.

Es hatte „ein Abzug ohne Verletzte“ sein sollen mit schrittweiser und kontrollierter Übergabe der Militärposten an internationale Schutztruppen. Stattdessen wurden sechs libanesische Zivilisten erschossen, die Soldaten der bisher mit Israel verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA) begingen zu Hunderten Fahnenflucht, und auch die israelischen Soldaten verließen das feindliche Land unter Beschuss von Seiten der Hisbullah-Guerillas, wobei allerdings niemand verletzt wurde. Von kurzen Unterbrechungen abgesehen, harrt die israelische Bevölkerung an der Nordgrenze seit drei Tagen in den Bunkern aus. Hisbullah-Chef Scheich Hassan Nasrallah drohte bereits: „Bringt euch für die kommenden Tage in Sicherheit!“ Die schiitische Partei befinde sich derzeit „in Beratung“, wie die sechs toten Libanesen gerächt werden sollten.

Nicht nur die Hisbullah, sondern auch die libanesische Regierung betrachten den Abzug der Israelis als „noch nicht abgeschlossen“. Libanons Premierminister Salim al-Hoss erklärte, dass seine Regierung auf die Rückgabe der Schebaa-Ländereien bestehe, entsprechend dem 1923 von den britischen und französischen Mandatsmächten festgelegten Grenzverlauf. Noch diese Woche soll der norwegische UNO-Beauftragte Terje Larsen den Verlauf der internationalen Grenze zwischen Israel und Libanon überprüfen und anschließend den Abzug der Israelis offiziell für abgeschlossen erklären. Nach früheren Beratungen hatte die UNO bereits die israelische Version bestätigt, wonach die Schebaa-Ländereien nicht zum Libanon, sondern zu den annektierten Golanhöhen gehören, also zu Syrien. Fraglich ist, ob die erneute Bestätigung der UNO auch von der Hisbullah anerkannt werden wird, die bereits ankündigte, „den Kampf bis zur kompletten Befreiung des Libanon“ fortzusetzen. Nasrallah fordert zudem die Freilassung der in Israel inhaftierten Hisbullahis Abd al-Karim Obeid und Mustafa Dirani.

Umgekehrt drohte auch der israelische Stabschef: „Wir werden nicht zögern, das Recht unserer Landsleute im Norden auf ein friedliches und ruhiges Leben in ihrem Zuhause zu verteidigen.“ Jeder Angriff werde auf „angemessene Weise“ beantwortet werden, meinte Mofas. Die israelischen Militärs rechnen damit, dass die neue Realität im Südlibanon, der seit gestern praktisch von den Hisbullah-Guerillas kontrolliert wird, zeitlich befristet sein wird. „Wir werden das entweder mit internationaler Hilfe oder mit Gewalt ändern“, meinte Vize-Verteidigungsminister Efraim Sneh. Solange die Israelis keine weiteren Angriffe auf den Libanon fliegen, kann sich der Staat einer Welle der internationalen Sympathie erfreuen. Nicht nur die USA wandten sich mit ungewöhnlich deutlichen Worten an Syrien, sondern auch Frankreich appellierte an Damaskus, „von Provokationen abzusehen“.