Ausgestoßen in die Hölle des Ballermann 6

■ Christoph Loys Inszenierung von Hector Berlioz' Oper „Fausts Verdammnis“ feiert am Samstag im Theater am Goetheplatz Premiere. Im taz-Gespräch erläutert der Regisseur den Reiz des selten gespielten Werkes

„Seine Musik ist der harnäckige, unversöhnliche, erbitterte Kampf des Intellekts gegen die Inspiration; eine Musik des Kopfes, an der das Herz nicht beteiligt ist“ – so hieß es in einer der Uraufführungskritiken von Hector Berlioz' „dramatischer Legende“ „Fausts Verdamnis“ (1845/46). Der Komponist verbitterte vollkommen über die anhaltende Ablehnung seiner Werke. Berlioz machte sich selbst und das Außenseitertum in seiner Kunst zum Thema. So sieht es auch Christoph Loy, Regisseur von der Oper „Fausts Verdammnis“, die am Samstag unter der musikalischen Leitung von Günter Neuhold Premiere hat.

taz: Herr Loy, es gibt – abgesehen von unzähligen sinfonischen Dichtungen – vierzehn Vertonungen von Goethes Faust. Was ist das Besondere an der von Berlioz?

Christoph Loy: Es ist die bizarre, verzweifelte Künstlergestalt, die Berlioz akzentuiert. Sein Faust negiert alles und scheitert total. Er passt in keine der Gruppen, die ihm gegenüberstehen, er betreibt seine Ausgrenzung selbst. Das führt zu seinem ersten Selbstmordversuch. Daraus kann er sich nur durch die Sentimentalität des an die Kindheit erinnernden Osterchorals retten ...

Ist er schwächer als Goethes Figur?

Goethes Faust ist einfach umfassend gebildet, Berlioz' Faust ist ein Künstler mit all der verzweifelten Einsamkeit, die Berlioz' eigene war.

Fließt dieses autobiographische Motiv in Ihre Arbeit ein?

Nicht direkt. Aber ich sehe schon Parallelen. Zum Beispiel darin, dass die Sehnsucht nach Marguerite überhaupt keine Realität hat, wie Berlioz' unglückliche Liebe zu der Schauspielerin Harriet Simpson, die er in der „Fantastischen Sinfonie“ und in „Lelio“ thematisiert.

Berlioz nennt seine Oper eine „dramatische Legende“. Er hat wohl nie an eine Aufführung gedacht. Das Buch und das aufwendig beschriebene Bühnenbild sind eher Traumtexte. Nicht nur Gretchen ist eine Vision, auch Faust ist es für Gretchen. Wie nähern Sie sich dieser Ausgangslage?

Ich gehe genau diesen schillernden, formalen Rätseln nach. Der Zuschauer wird in seiner Fantasie gefordert – ich verführe! Es wird häufiger passieren, dass der Zuschauer vor lauter Überraschungen nicht weiß, wo er sich befindet – mehr will ich aber hier nicht verraten. Und ich möchte mit der Tatsache arbeiten, dass subjektive Wahrnehmung entscheidender ist als objektive Wahrheit.

Die sängerische Rolle des Faust ist exorbitant schwer. Gibt es in der Oper Rollen, in denen das überragende Singen noch wichtiger ist als in anderen?

Nein. Der Sänger des Faust muss eine überdurchschnittlich intellektuelle Kapazität haben. In der Rolle kann man nicht lügen, weil es die extreme Verzweiflung eines hochintelligenten Menschen ist. Die Widersprüchlichkeiten seines Denkens und Fühlens sind extrem. In diesem Sinne zeigt die Rolle gesellschaftliche Zusammenhänge. Ich will jedoch keine direkten Bebilderungen, sondern diese Irritationen, von denen ich schon sprach: Je weniger man sich in der überbordenden Überfrachtung dieser Partitur zurecht findet – zum Beispiel verlangt er da den Auftritt von 200 bis 300 Kindern! – desto besser.

Welche Rolle spielt Mephisto?

Er vertritt die uniforme Gesellschaft – das ist wohl die Hölle, so à la Ballermann 6 auf Mallorca – aber er ist auch ausgestoßen. Auch hier arbeite ich mit dem Widerspruch.

In der Berlioz-Rezeption gibt es keine Gleichgültigkeit. Seine Musik begeistert oder wird vehement abgelehnt. Warum ist sie noch heute eine Provokation?

Weil sich die Gründe für Berlioz' Publikumsbeschimpfungen nicht verändert haben: ich finde Euch zum Kotzen, war seine Erfahrung und Meinung. Er hasste sich auch selbst dafür, dass er damit nicht umgehen konnte. Und die Rolle des Künstlers hat sich bis heute nicht verändert.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Premiere: Samstag, Theater am Goetheplatz, 19.30 Uhr . Karten: Tel.: 365 33 33