der letzte natürliche feind des menschenvon JOACHIM SCHULZ
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Man mag von der Zivilisation halten, was man will: Äußerst erfolgreich immerhin hat sie unsere natürlichen Feinde aus den Wohngebieten verdrängt. Geht man hinaus auf die Straße, braucht man im Regelfall nicht zu befürchten, auf ein hungriges Ungetüm zu stoßen, und wenn man trotzdem plötzlich einen Säbelzahntiger vor sich sieht, dann hat man höchstwahrscheinlich nur zu viel getrunken. Ein letzter Feind aber ist bis heute unter uns, und mindestens ich bin mir sicher, dass auf meinem Grabstein dermaleinst der Satz stehen wird: Ein Bus war sein Verhängnis.

Indessen bin ich zugegebenermaßen selbst nicht ganz schuldlos daran, dass es in meinem Leben zu einer beachtlichen Häufung an brenzligen Situationen gekommen ist, in denen Busse tragende Rollen spielen. So war es zwar unschlagbar billig, aber mit Sicherheit nicht besonders klug, als ich – lang ist’s her – zum Zweck einer Griechenlandreise das Fahrzeug einer großen Überlandlinie bestieg. Als ich 48 Stunden später aus dem Gefährt wieder hinaustaumelte, hatte ich drei Beinahe-Abstürze aus hellenischen Haarnadelkurven mit begleitendem Herzinfarkt nur knapp überlebt und ausgiebig damit gehadert, dass die Genfer Konvention den Fahrgästen eines Busses das Ausziehen ihrer Schuhe nicht verbietet.

Vor allem aber signalisierten alle knöchernen Bestandteile meines Körpers dem Schmerzzentrum im Schädel, dass ich mir auf dem harten Sitz einen orthopädischen Totalschaden zugezogen haben musste. Fest stand, dass diese rollende Vorhölle zu Recht schon zwischen München und Salzburg von einem Kommando radikaler Tierschützer hätte gestoppt werden müssen, hätten sie nur gewusst, dass in ihm nicht allein bedauernswerte Menschen, sondern auch diverse ausgebeutete Angehörige der Fauna transportiert wurden.

Bisweilen aber hat der Reisende auch gar keine andere Wahl, als den Bus zu benutzen – zum Beispiel im iberischen Raum, wo sich der Ausbau des Schienennetzes noch immer in einem Stadium befindet, das hierzulande bereits erreicht war, als die Linie Nürnberg–Fürth eröffnet wurde. Umso erbarmungsloser schlägt deshalb hier der letzte natürliche Feind des Menschen zu: Sehr gern wird der Fahrgast zunächst unter Verwendung bordeigener Fernsehschirme mit Videofilmen der Güteklasse Schwere Körperverletzung durchs Land geprügelt, um dann aufgrund einer vom Südpol entliehenen Klimaanlage mit dicken Eiszapfen an der Nase den Zielort tiefgefroren und komplett verblödet zu erreichen.

Weitaus gefährlicher, als sich im Inneren eines Busses aufzuhalten, ist es jedoch, auf einem Fahrrad dem Raubtier in freier Wildbahn zu begegnen. Ich jedenfalls zünde meinem Schutzengel jedes Mal eine Kerze an, wenn ich von einem unvermeidlichen Ausflug in den Stadtverkehr ohne lebensbedrohliche Beschädigungen zurückgekehrt bin. Doch eines Tages, ich weiß es genau, werde ich den Absprung von Sensenmanns Schippe nicht rechtzeitig schaffen, und dann wird neben den Überresten von Fliegen und Mücken noch ein anderer Körper auf dem Kühlergrill der Todeslinie 5 kleben.