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: HELMUT HÖGE über Neophysiokraten

Ein Klein-Werden schaffen!

Der Club von Berlin lädt gelegentlich in die Villa Grisebach ein. Heuer referierte dort der Club-of-Rome-Mitdenker und Umweltforscher Carl-Ulrich von Weizsäcker, der sich seit einiger Zeit mit dem amerikanisch-praktisch denkenden Armory Lovins zusammengetan hat. Während die französische Intelligenz die „sozialen Bewegungen“ wieder zu beleben und zu forcieren trachtet, sind die US-amerikanische und die deutsche eher auf Politik- und Unternehmensberatung aus.

Weizsäcker möchte sich sogar einer künftigen Weltregierung als Umweltberater empfehlen. Wobei er inzwischen einsieht, dass Plädoyers für Wachstumsreduzierung Wirtschaft und Politik nur verschrecken, während profitable Ideen zur Reduzierung der Umweltbelastung – also marktwirtschaftlich integrierbare Öko-Innovationen – gut aufgenommen werden. So gesehen, steht dieses globale Denken dem von Bourdieu angeführten „Kampf gegen die Globalisierung“ geradezu entgegen. Seit in Frankreich jedoch die Aufrufe zur Wiederbelebung der schon in der Französischen Revolution von 1789 gescheiterten „Generalstände“ für mediale Furore sorgen, denkt man auch im Club von Berlin über eine Beteiligung der deutschen Ökologen an dieser Intellektuellenbewegung – zur Einberufung europäischer „Generalstände“ – nach.

Weizsäcker knüpft bei bei vorrevolutionären Denkern an – den Physiokraten. Alexis de Tocqueville schrieb über sie: „Der Staat hat nach Ansicht der Physiokraten der Nation nicht lediglich zu befehlen, sondern er hat sie auch in einer gewissen Weise auszubilden; seine Aufgabe ist es, den Geist der Bürger nach einem gewissen im Voraus bestimmten Vorbilde zu formen; es ist seine Pflicht, das Herz der Bürger mit gewissen Gefühlen, die er für notwendig erachtet, zu versehen.“ Die Physiokraten waren Politikberater, je zentralisierter der Staat, desto effektiver ihre Beratung. Für den Staatsbürger blieb einzig die „Erziehung“ – heute zu mehr „Umweltbewusstsein“. Weizsäcker könnte also mit Voltaire sagen: „Und da man nun einmal dienen muss, so scheint es mir besser, es unter einem Löwen aus gutem Hause, denn unter zweihundert Ratten meinesgleichen zu tun.“ Was die alten und die Neophysiokraten von Voltaire unterschied, war nur dies: Jene wollten – vor allem im Hinblick auf die Staatslenker – „positiv denken“, während Voltaire für seine im Wesentlichen kritische Tätigkeit bloß einen würdigen Gegner verlangte. Den großartigen Wirtschaftskreislaufplänen (heute zur Reduzierung der CO2-Emissionen), die die Physiokraten immer wieder neu fassten, hielt freilich schon Tocqueville entgegen: „Derartige Unternehmungen lassen sich nicht anraten: Man ist sie durchzuführen nur fähig, wenn man fähig gewesen ist, selbst auf sie zu kommen.“

Weizsäcker hält die jetzigen Politiker nach wie vor für geeignet: In Rio versuchte er es mit George Bush im Guten, in Bonn mit Angela Merkel. Wahrscheinlich wäre er mit einem Öko-Stalin besser bedient, wobei dieser seinerseits gut beraten wäre, nur auf seine eigenen Weltverbesserungspläne zu bauen. An der Debatte über die globale Umweltvernutzung sowie über die Einberufung der Generalstände der sozialen Bewegungen gegen die Globalisierung ist einzig interessant, dass sie die theoretischen und politischen Formationen aus der Zeit vor der Französischen Revolution von 1789 noch einmal wiederbeleben versucht. Stehen wir also erneut am Vorabend einer Revolution? Jene – erste – sah ihr Heil in der Zentralisation und machte Ernst mit der Gleichheit, die dann im Sozialismus bis zur extremen individuellen Verantwortungslosigkeit getrieben wurde. Diese – neue – müsste dagegen die Freiheit hochhalten. So etwas kann sich nur gegen alle Physiokraten richten, denen es ebenso wie den Clubbern von Berlin nichts ausmacht, z.B. fünf Mark und mehr für einen Liter Normalbenzin zu bezahlen. Otto Normalverbraucher würde dagegen – zu Recht – auf die Barrikaden gehen. Seine Freiheit bestünde darin, der Welt endgültig adieu zu sagen, d.h. sich von jedem zur Globalisierung drängenden Regiertwerden abzukoppeln – in dem Wunsch, „sich endlich wieder selbst zu verwalten“ (Tocqueville). Dabei würde sich übrigens ökologische Ressourcenschonung und soziale Nachhaltigkeit von selbst einstellen, notgedrungen quasi.