„Ich habe mein eigenes Monster erschaffen“

Zu ihrem 50. Geburtstag erinnert sich Dee Dee Bridgewater an eine Jazz-Karriere zwischen schlechter Bezahlung und Dizzy Gillespie in Unterhosen

Interview MARCEL ANDERS

taz: Jazz, wie Sie ihn spielen, gilt immer noch als Akademiker-Musik. Sie aber tragen Designerkleider von Issey Miyake, demnächst werden Sie von Max Mara ausgestattet. Ist das kein Widerspruch?

Dee Dee Bridgewater: Das ist wichtig für mein Image. So kann man leichter junge Menschen erreichen, denn es stimmt: Jazz kann verdammt langweilig sein – so unglaublich reaktionär und kleinkariert. Aber ich könnte es nicht ertragen, dieses Stereotyp der leidenden Sängerin zu verkörpern. Ich komme aus dem Theater und bin Schauspielerin. Deshalb verhalte ich mich auf der Bühne auch ganz anders, als es allgemein üblich ist, ich bewege mich, ich flirte und habe Spaß. Und dafür haben die Jazz-Kritiker kein Verständnis. Junge Leute finden das hingegen großartig. Und da ich mir keine Videoclips leisten kann, muss ich zumindest optisch was hergeben.

Sie haben in Ihrer Karriere viele verschiedene Stile ausprobiert – auch Funk, Disco oder Soul . . .

Ich wollte meine Grenzen ausloten und auch mal richtig Geld verdienen. Das gebe ich gerne zu. Denn warum soll eine gute Künstlerin arm sein, wenn sie auch ordentlich verdienen kann? Als ich mit Disco experimentierte, war ich Teil dieser Fusion-Szene. Ich war ein junges Jazz-Baby, das genug von diesen langweiligen Standards hatte und auch mal etwas Neues probieren wollte. Ich wollte mehr Rhythmik, Groove und Beat. Für mich ist das Freiheit – eben immer das tun zu können, wozu ich gerade Lust habe. Und natürlich auch entsprechend bezahlt zu werden.

Allein mit Jazz kann man nicht reich werden?

Also ich habe nur Peanuts verdient. Ich habe mit so vielen berühmten Leuten gearbeitet – Dizzy Gillespie, Pharao Sanders, Freddy Rollins, Dexter Gordon. Keine Ahnung, ob für sie mehr abgefallen ist, ich konnte damit keine Familie ernähren. Also versuchte ich es mit Musicals.

Unter anderen die Rolle der Billie Holiday in „Lady Day“ . . .

Das war die Hölle. Ich habe sie fast elf Monate lang gespielt und war zum Schluss regelrecht besessen. Ich hatte sie so genau studiert und auswendig gelernt, dass ich sie wurde. Ich sprach wie sie, benahm mich wie sie und kleidete mich auch so. Meine ganze Persönlichkeit hat sich verändert. Und das war beinahe krankhaft. Ich bin oft völlig weggetreten und hatte regelrechte Flashbacks – in ihre Vergangenheit, nicht in meine. Das war total gespenstisch. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren und musste in psychiatrische Behandlung. Deshalb konnte ich sechs Monate nicht singen.

Eigentlich heißen Sie ja Denise Garrett. Inwiefern gibt es Konflikte zwischen ihr und Dee Dee Bridgewater?

Irgendwie schon, obwohl ich natürlich versuche, privat nur Denise Durant zu sein. Da hat Dee Dee Bridgewater nichts verloren. Und ich muss sagen, dass mir ihr Ruf und ihr Image immer weniger gerecht werden. Ich habe mein eigenes Monster erschaffen. Denn Dee Dee ist immer bestens gestylt, immer fröhlich und immer auf Achse. Und das kann ganz schön weh tun. Ich hasse Dee Dee nicht, aber manchmal ist es eben beängstigend, weil ich jemanden verkörpere, der mit mir gar nichts zu tun hat. Jemand, der viel reist, viel allein ist und sehr bescheiden lebt.

Als Sie Anfang der Achtzigerjahre nach Paris emigrierten, fühlten sich die Leute von Ihren Konzerten sexuell belästigt . . .

Das war wirklich unglaublich. Ich habe Etta James in Montreaux gesehen, und was sie mit dem Mikro-Kabel angestellt hat, war fast schon obszön. Nicht dass ich mir so etwas nicht zutrauen würde . . . Im Grunde bin ich auch nicht besser. Ich streichle zum Beispiel die Füße eines Klaviers, lege mich auf den Boden und spreize die Beine. Oder ich drehe meinem Publikum den Hintern zu und fange an, ihn zu streicheln. Das ist doch sexy. Für mich ist das ein Ausdruck meiner Weiblichkeit.

Nun werden Sie fünfzig. Ist das Alter eine schlechte Erfahrung?

Im Gegenteil, ich fühle mich großartig! Viel lebendiger und weiblicher als je zuvor. Ich kann das nicht erklären, aber ich scheine auf die Männer jetzt noch mehr Faszination auszuüben. Die glauben wohl, dass sie von mir etwas lernen könnten (lacht). Nicht dass mir das nicht schmeichelt, aber ich sage ihnen dann doch immer: Hör mal, Süßer, das ist wirklich nett, aber ich gehe jetzt nach Hause. Meine Kinder sind genauso alt wie du (lacht). Viel aufdringlicher war aber Dizzy Gillespie. Der hat auf einer Frankreich-Tour immer verbundene Zimmer gemietet. In einem Hotel in Nimes stand die Verbindungstür zum Nebenraum offen. Zuerst dachte ich: Wow, vielleicht hast du ja eine Suite. Doch dann rief jemand: „Muschi, Muschi, komm doch mal rüber.“ Es war Dizzy, der in seiner Unterhose auf dem Bett lag, eine fette Zigarre im Mund hatte und mir zuzwinkerte. Was für ein Clown!

Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?

Wahrscheinlich wird es furchtbar langweilig – eben zu Hause mit den Kindern und guten Freunden. Dann gibt es jede Menge Essen und zum krönenden Abschluss werde ich mir einen dicken, fetten Joint leisten und richtig schön stoned sein.