Armutsimmigration

betr.: „Mehr Mut in der Debatte“ von Micha Brumlik, taz vom 19. 5. 00

Ich vermisse in den Debatten um Immigration eine Diskussion über die Motive pro und contra Immigration.

Warum zum Beispiel sind die Wirtschaftsverbände, die FDP, Grüne, Teile der CDU und SPD für eine Anwerbung von EDV-Spezialisten? Um die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig zu erhalten! Und was bedeutet dies? Wertschöpfung, Wissen und wirtschaftliche Macht bleiben in Deutschland. Und nicht in Indien, Polen, Russland oder sonst wo. Gerade im EDV-Bereich sollte es meist möglich sein, dass die Spezialisten vor Ort für deutsche Firmen arbeiten. Dies hätte für die betroffenen Länder viele Vorteile, da wesentliche Teile der Wertschöpfung, der Steuern und des Wissens in eher ärmeren Ländern bleiben. Aber der „Nachteil“ für Deutschland wäre eben ein Verlust an wirtschaftlicher Macht zugunsten ärmerer Länder. [...]

Zum Thema „Armutsimmigration“. Sicher haben wir die moralische Verpflichtung auch und gerade Armutsflüchtlinge aufzunehmen. Nur: Ist dies wirklich der richtige Weg der Armutsbekämpfung? Selbstverständlich nicht! Wenn statt dessen der Welthandel fairer wäre und sich an den Bedürfnissen der Masse der Menschen und nicht an den Bedürfnissen der Geldbesitzer orientieren würde, wenn Strukturen geschaffen oder wenigstens gefördert würden, die der Masse der Menschen ein selbst bestimmtes Leben ermöglichen, wenn die Entwicklungshilfe nicht immer unbedeutender, sondern deutlich aufgestockt würde, müsste man auch nicht so intensiv über Armutsflüchtlinge nachdenken. Ein Bekämpfen der Armut vor Ort ist in jedem Fall effektiver und kommt mehr Menschen zugute, als die Ausweitung der Armutsimmigration. Oder, um es noch deutlicher zu machen: Armut kann nicht durch Ausweitung der Armutsimmigration bekämpft werden. Sondern nur durch faire Rahmenbedingungen und spürbare finanzielle und sonstige Hilfe vor Ort. [...]

Ähnlich sieht es bei Asylsuchenden aus. Die Bundesregierung tut doch noch nicht einmal etwas gegen mehr oder weniger massive Menschenrechtsverletzungen in „befreundeten“ Staaten. Aber statt die Probleme auf ihre Ursachen zurückzuführen, schreien die einen „Wirtschafts-/Scheinasylanten raus“, wobei den Ärmeren sogar das Recht und die Fähigkeit zum eigenen wirtschaftlichen Wohlergehen abgesprochen wird, während die andere Seite sagt, Deutschland sei ein Einwanderungsland, das Einwanderung zur Verteidigung seiner wirtschaftlichen Spitzenposition, zur Bezahlung der Renten etc. brauche. Dass die erstere Position widerwärtig ist, ändert für mich nichts daran, dass die zweite Position ebenfalls falsch ist, da sie sich nicht um die eigentlichen Ursachen bemüht, sondern nur eine Gegenposition zu den Rechten aufbauen will. JENS NIESTROJ, Rotenburg