Östlicher Zustrom in Grenzen

Heute wird über die Arbeitsmigration aus den östlichen EU-Beitrittsländern verhandelt. Immigranten bevorzugen Großstädte. Schlecht qualifizierte Einheimische unter Druck

BERLIN taz ■ Die Angst ist verbreitet: Wenn erst einmal die EU-Grenzen im Osten fallen, dann werden sie nach Deutschland strömen, die polnischen Handwerker, die tschechischen Kellnerinnen, die der deutschen Fachkraft die Arbeit wegnehmen, indem sie zu Dumpingpreisen malochen. So aber wird es nicht kommen: „Der Zustrom der Arbeitskräfte wird sich in Grenzen halten“, versichert Herbert Brücker vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Heute verhandeln die EU-Länder in Brüssel erstmals mit sechs Beitrittskandidaten, wann und unter welchen Bedingungen die EU-weite Freizügigkeit auch für deren Arbeitnehmer gelten soll. Begleitend dazu haben unter Federführung des DIW Experten Daten über Arbeitsimmigration zusammengetragen und für die EU-Osterweiterung ein Szenario entwickelt. Ergebnis: Pro Jahr würden wahrscheinlich nur 80.000 bis 100.000 Arbeitskräfte nach Deutschland kommen. Ein internationales Gutachterteam hat ein Szenario entwickelt, nach dem ab dem Jahre 2002 zehn neue Länder der EU beigetreten sind: Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Rumänen, Bulgarien, Estland, Lettland und Litauen. Deren Bürger könnten dann unbeschränkt nach Westeuropa einwandern. Nach dieser Rechnung kämen pro Jahr etwa 335.000 Menschen aus dem Osten nach Westeuropa, 220.000 davon würden sich in Deutschland niederlassen. Diese Zahl enthält Familienmitglieder. Höchstens 40 Prozent dieser Zuwanderer werden einen Job suchen, erklärt Brücker, der an dem Gutachten mitwirkte. Die Zuwandererwelle wird gegen Ende des Jahrzehnts abebben. Die Wirtschaftsexperten rechnen dann nur noch mit rund 96.000 Ost-Immigranten in Deutschland.

Die meisten der Zuwanderer wollten voraussichtlich als Fachkräfte im Produktions- oder Dienstleistungsbereich eine Arbeit suchen, „und zwar vor allem in prosperierenden Branchen“, sagt Brücker. In der Baubranche aber könnte es zu neuer empfindlicher Konkurrenz kommen, wenn beispielsweise Subunternehmer mit ihren Bautrupps aus Osteuropa auf den Markt träten.

Insgesamt stellten die Zuwanderer eher eine Konkurrenz für jene deutschen Arbeitskräfte dar, die keine gute Ausbildung hätten, so die Gutachter.

Viele der neuen Zuwanderer werden sich in den grenznahen Regionen Arbeit suchen, jedoch weniger in den neuen Bundesländern, sondern eher in Bayern, nahe der Grenze zu Tschechien.

Die Befürchtung, dass viele Tagespendler etwa aus Polen dann auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt drängen, hält Brücker für übertrieben. Jenseits eines 50-Kilometer-Radius lohne sich Pendeln nicht, weil die Entfernungen zur Arbeit zu groß seien. Allerdings werde die Zahl der Wochenendpendler zunehmen.

Die prognostizierte, eher niedrige Zuwanderung ist überraschend, da der Unterschied der Einkommen zwischen Deutschland und den osteuropäischen Beitrittskandidaten recht hoch ist. Laut dem Gutachten verfügen die osteuropäischen Erwerbstätigen nur über ein Drittel der Kaufkraft der Deutschen. Aber Immigration sei immer mit hohen Kosten für die Zuwanderer verbunden, gibt Brücker zu bedenken. Nicht nur die Absorbtionsfähigkeit des Arbeitsmarktes, sondern auch die Netzwerke, also die schon vorhandenen Gemeinschaften und Familien, entschieden darüber, ob es sich lohne, herzukommen oder nicht.

Nach den Prognosen der Gutachter dürften in den nächsten 30 Jahren immerhin rund 3,6 Millionen Menschen aus Osteuropa in den Westen zuwandern, zwei Drittel davon nach Deutschland. Obwohl die Gutachter insgesamt eher positive Effekte durch die Immigration für die Arbeitsmärkte ausmachen, empfiehlt das DIW trotzdem eine Sicherung. Falls die Zahl der Zuwanderer nach Westeuropa doch überraschend 350.000 pro Jahr übersteige, heißt es im DIW-Wochenbericht dazu, könnte man die Immigration dann durch Quoten begrenzen. Damit will das Institut der Sorge Deutschlands und Österreichs Rechnung tragen, ein hoher Zustrom von Arbeitskräften könnte den hiesigen Jobmarkt allzusehr unter Druck setzen. Beide Länder fordern in den Verhandlungen zur Ost-Erweiterung der EU „Schutzklauseln“ für ihre Arbeitsmärkte und Übergangsfristen, während deren noch Restriktionen für die Job-Immigranten gelten sollen.

BARBARA DRIBBUSCH