Kleiner Atomkonsens

Bei den Verhandlungen zum Atomausstieg könnten die Laufzeiten der AKW ausgeklammert werden, erwägt die grüne Energieexpertin Hustedt

BERLIN taz ■ Die Verhandlungen um den Atomausstieg sind derart festgefahren, dass die rot-grüne Koalition möglicherweise von ihrem Ziel einer Gesamtlösung im Konsens mit der Industrie abrückt. „Denkbar wäre auch ein kleiner Konsens“, sagte gestern die Grünen-Sprecherin für Energiepolitik, Michaele Hustedt. Dies sei ihre „persönliche Meinung“. Dabei würden nach Vorstellung von Hustedt nur die Punkte in der Novelle des Atomgesetzes geregelt, über die sich die Regierung und die vier Atomkonzerne einig seien. Für die übrigen Fragen müsste Rot-Grün dann eine Gesetzesänderung im Dissens formulieren.

Eine Einigung in Sicht scheint zum Beispiel beim geplanten Atomendlager Gorleben. Regierung und Konzerne sollen darin übereinstimmen, dass ein Endlager erst in 30 Jahren zur Verfügung stehen müsse. Die Industrie scheint außerdem eingewilligt zu haben, die teure Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen in Frankreich und Großbritannien dann zu beenden, wenn der Müll aller deutschen Atomkraftwerke in Zwischenlagern abgestellt werden kann. Diese und andere Punkte könnten nach Ansicht von Hustedt im Konsens geregelt werden. Die Atomkonzerne RWE, Veba, Viag und Energie Baden-Württemberg (EnBW) würden auf die Möglichkeit, vor Gericht zu klagen, verzichten.

Außen vor blieben dann aber die Laufzeiten der Atomkraftwerke. Die Bundesregierung hat sich für die meisten Anlagen auf durchschnittlich maximal 30 Jahre festgelegt, während die Konzerne auf fast 40 Jahren beharren. Ein bislang unüberbrückbarer Widerspruch besteht auch beim stillstehenden AKW Mühlheim-Kärlich, das RWE gehört. Der Konzern will sich die Laufzeit für die Anlage anrechnen lassen, wodurch andere AKW länger laufen könnten. Bei einem „kleinen Konsens“ müsste Rot-Grün diese Fragen im Dissens entscheiden, worauf die Konzerne die Gerichte anrufen könnten.

Für Michael Schroeren, den Sprecher von Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne), „stellen sich diese Fragen nicht“. Auf Seiten der SPD sagte deren umweltpolitischer Sprecher Michael Müller, ein „kleiner Konsens ist völlig unrealistisch“. Die Energieversorger würden nicht ihre Schadensersatzforderung zum Beispiel für das geplante Endlager Schacht Konrad aus der Hand geben und sich auf einen Teilkonsens verständigen. Schließlich könnten sie Gorleben, Konrad und die Wiederaufbereitung auch nutzen, um der Regierung längere Laufzeiten abzuhandeln.

Auf der Hauptversammlung der Veba erklärte deren Vorstand Ulrich Hartmann, das Unternehmen werde keiner Lösung zustimmen, die die Laufzeit auf 30 Jahre reduziere. HANNES KOCH