„Warum haben Sie Angst vor Parteien?“

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fordert Berliner Schüler auf, weniger zu klagen und sich einzumischen

BERLIN taz ■ Der Bundestagspräsident kommt zum Nachsitzen. Das hatte Floriana Müller auch erwartet. „Viele von uns waren erbost, wie frech er war“, sagt die Berliner Abiturientin über ihren ersten Besuch bei Wolfgang Thierse (SPD).

Frech, der Bundestagspräsident? Sauer, die Schüler? Vor zwei Wochen hatten Floriana und dreißig MitschülerInnen dem Hausherrn des Reichstags einen Fragenkatalog überbracht, 170 Fragen an die Politik. Doch statt zu antworten fertigte Thierse die Gymnasiasten an der Hintertür des Parlaments ab. Seine knurrige Botschaft: „Nicht die Jungen, die Alten sind zu wenig vertreten im Bundestag.“

Gestern gaben die Schüler der Gabriele-von-Bülow-Oberschule in Berlin-Tegel sich und Thierse eine zweite Chance. Thema der Begegnung, die der Verein Kumulus arrangiert hatte: „Politikverdrossenheit der Jugend oder Jugendverdrossenheit der Politik?“ Artig nahm der Bundestagspräsident im Stuhlkreis vor dem Podium der Aula Platz und stellte erst mal richtig: „Ich bin hierher gekommen, weil ich’s toll finde, dass junge Leute sich für Politik interessieren und Fragen haben.“ An den unbeantworteten Fragenkatalog erinnerte ein blaues Banner über seinem Kopf: „www.AwieAntworten.de“.

Antworten bekamen Floriana und ihre MitschülerInnen im Laufe der Diskussionsrunde – und nicht nur angenehme. Die Jugendlichen interessierte vor allem, was Thierse tun wolle, um das Verhältnis von Jugend und Politik zu bessern. Dieser ließ sich allerdings nicht die Generalverantwortung für das dürftige Politikinteresse vieler Jugendlicher zuschreiben und kritisierte stattdessen deren Erwartungshaltung: „Ich finde es komisch, dass immer nur von der Politik gefordert wird, ihr müsst etwas ändern. Warum haben Sie Angst vor Parteien?“ Außerdem, so Thierse, müssten die SchülerInnen wissen, dass nicht nur Jugendpolitik wichtig sei, dass man die verschiedenen Interessengruppen nicht gegeneinander ausspielen dürfe und dass seine Regierung sowieso die Bildung bereits zu einem Schwerpunkt gemacht habe.

Solche Belehrungen lösten bei den SchülerInnen wenig Begeisterung aus: „Wir sind ungeduldig, weil Sie immer so ausschweifend reden“, sagte eine Gymnasiastin dem hohen Gast ins Gesicht. Da half es auch nichts, dass Thierse auf die Mühen des politischen Alltagsgeschäftes verwies: „Politik besteht aus Detailfragen. Das ist das Grundmuster der Politik.“

ASTRID GEISLER