Problemfamilie mit Nullschein

Hamburgs Sozialhilfeempfänger sollen künftig Kindergartengebühren zahlen. Bezirke fürchten Abmeldungen, Elternverein protestiert  ■ Von Kaija Kutter

Am 1. August, wenn Hamburg in den Sommerferien weilt, wird sich für die Eltern von rund 13.000 Kindern Entscheidendes ändern: Sie dürfen nicht mehr selber einschätzen, was sie für einen Platz im Halbtagskindergarten zu zahlen haben, sie müssen zum Bezirksamt und „sich berechnen lassen“. Nach Prüfung ihrer finanziellen Verhältnisse – so sieht es das neue „Kindertagesbetreuungsförderungs-gesetz“ vor – wird entschieden, welchen Betrag zwischen 50 und 300 Mark sie monatlich zahlen müssen. Richtig happig wird es für Sozialhilfeempfänger und geringfügig verdienende Eltern mit einem Einkommen unter 2000 Mark. Für sie fällt die Beitragsbefreiung, auch „Nullschein“ genannt, künftig weg. Der Hamburger Senat hält es für zumutbar, sie pro Kind 50 Mark zahlen zu lassen.

Es sei nur deshalb „gängige Praxis“ gewesen, Sozialhilfeempfängern die Gebühren zu erlassen, weil der Mindestbeitrag mit 80 Mark „unverschämt hoch“ gewesen sei, erklärt der Abteilungsleiter im Amt für Jugend, Jürgen Näther. Bei den nun abgesenkten 50 Mark gebe es hingegen „keinen Anlass für Ausnahmen“. Laut Näther wurden bisher 15 Prozent der Eltern von Gebühren befreit. Künftig solle dies nur noch in „ganz besonderen Ausnahmen“ von etwa 2 Prozent der Fälle geschehen, wenn Sozialarbeiter vor Ort sagen, es wäre zum Wohl des Kindes nötig, weil die Eltern die Kinder sonst zu Hause lassen. Aber, so Näther, es müssen „zusätzliche Gründe sein. Sozialhilfebezug allein reicht nicht.“

Die sieben Hamburger Bezirke hatten im Vorwege gegen diese neue Regelung Bedenken angemeldet. „Die Kosten für pädagogische Betreuung sind im Sozialhilfesatz nicht drin“, sagt die Leiterin des Kita-Sachgebiets im Bezirk Altona, Gunda Seitz-Schulte. Es sei zwar noch nachvollziehbar, dass für die Ganztagsbetreuung, bei der es für Kinder auch Mittagessen gibt, der Mindestbeitrag von 75 Mark verlangt wird. Doch falle dieses Argument der „häuslichen Ersparnis“ bei den Vormittagsplätzen weg. Seitz-Schulte: „Wir befürchten, dass Eltern sagen, 50 Mark sind uns zu teuer, wir melden das Kind ab.“

Kita-Sachgebietsleiterin Ursula Weinem vom Bezirk Mitte findet es zwar prinzipiell richtig, dass Kindergartenplätze für Sozialhilfeempfänger nicht mehr umsonst sind. Sie rechnet aber ebenfalls damit, „dass viele Kinder abgemeldet werden“.

Matthias Taube, Vorsitzender des Elternvereins „Familien Power“, hält die Abschaffung der Nullscheine für „rechtlich bedenklich“. De facto komme sie einer Aushebelung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz gleich. Da es auch für Geschwister keine Ermäßigung gebe, kämen manche Familien um eine Abmeldung gar nicht herum.

Taube rechnet „mit einer Abmeldungswelle von 30 bis 40 Prozent der Sozialhilfeempfänger“. Zudem würden diese stigmatisiert – wer einen Nullschein bekommt, ist eine amtlich beglaubigte Problemfamilie.