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: Maradona ist die Attraktion beim Matthäus-Abschied

Dick, süchtig, tätowiert, genial

Und am Abend setzte er sich zu Tische mit den Zwölfen. Und da sie aßen, sprach er: Einer unter euch wird mich verraten. (Matthäus 26,20-21).

War was? Ach ja, Lothar Matthäus. Hat am vergangenen Freitagabend seinen Abschied gefeiert. Einfach so. Mit 39. Nach 21 Jahren als Profi, nach 464 Bundesligaspielen, nach zig Titelgewinnen, zig Verletzungen und zig ... zwei gescheiterten Ehen. Zack, vorbei. Nun ist er weg, endgültig. Was für die vielen Fans, die ihm in den Zeiten bei Herzogenaurach, Borussia Mönchengladbach, Inter Mailand und Bayern München treu zur Seite standen, sicher traurig ist. Einerseits.

Andererseits: Auch wenn Matthäus nach dem Abschiedsspiel im Münchner Olympiastadion zwischen dem FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft betonte, er werde mit 50 nicht mehr Fußball spielen, „garrandiert nicht“, tragen seine Anhänger doch die Hoffnung in sich, dass der Europameister, Weltmeister, Rekordnationalspieler und Schönling (die amerikanische Zeitschrift People Magazine kürte ihn einst zu einem der 50 hübschesten Männer auf diesem Planeten) dem Weltsport Nummer eins ewig verbunden bleiben wird. Schließlich hat Matthäus bereits vor einigen Jahren hinsichtlich seiner Zukunftsplanung angekündigt: „Schiedsrichter kommt für mich nicht in Frage. Schon eher etwas, das mit Fußball zu tun hat.“

Noch allerdings kann er keine näheren Angaben darüber machen, was kommen wird. Fakt ist lediglich, dass Matthäus die Europameisterschaft spielen und anschließend seinen Vertrag bei den New York MetroStars (bis November) erfüllen will. Ansonsten gilt: „Wenn ich etwas weiß, sage ich es euch.“ Derzeit aber zähle nur die Gegenwart für ihn, sagt er.

Am Freitag war es sein Abschiedsspiel, eine Gala, die er nutzen wollte, um sich nochmals vor seinen Fans, seinen Freunden und seinen zwei geschiedenen Ehefrauen zu verneigen. Strategie des Abends war, „nicht alles so bierernst zu nehmen“, was ihm allerdings dann doch nicht ganz gelang. Als Matthäus in der 82. Minute das Zeichen erhielt, dass er ausgewechselt werde, bedankte er sich bei den Umstehenden und schlich gebrochen wie ein gescheiterter Aktienspekulant mit wässrigen Augen vom Platz. Aber wer will ihm schon böse sein, dass er seinen eigenen Abgang bedauert. Nach so einer Karriere. Und so einem Abschiedsspiel (es endete 1:1; Tore: Jancker und Häßler). Immerhin: Sein zweites Versprechen konnte Matthäus einhalten.

„Das Wichtigste ist, dass wir alle Spaß miteinander haben und den Zuschauern ein paar Kunststücke zeigen“, hatte er leitwolfmäßig im Voraus eingefordert, woran sich zumindest einer seiner Gäste pedantisch wie ein Finanzbeamter hielt: Diego Armando Maradona. Nein, stopp. Es muss heißen: DIEGO ARMANDO MARADONA. Denn das, was der kleine Argentinier in München vollführte, war schlicht und einfach: Groß. In jeder Hinsicht. Und wenn man nun doch böse zu Matthäus sein dürfte, würde man titeln: Das Comeback des Jahres – Maradona ist wieder da.

Die 47.000 Zuschauer schrien laut auf, als sie ihn sahen, den kugelrunden Ballkünstler in seinem Bayern-Trikot mit den Längsstreifen (die ihn auch nicht schlanker machten!), als sein Können aufblitzte, wie bei jenem Pass mit dem linken Außenrist, als er Strunz steil schickte (anders herum wäre ja auch schlecht gegangen!). Oder als er gierig wie ein Verdurstender in der Wüste nach der Wasserflasche griff (nach 17 Minuten!). Oder wie er bei seiner Auswechslung den reservierten Ottmar Hitzfeld umarmte, als sei der sein eigener Vater.

Es war Maradonas Auftritt, ohne Zweifel, und dass selbst Matthäus erkannte, wie „gut Maradona mit dem Ball umgehen kann“ und noch dazu ein „liebevoller Vater“ sei, zeigt, wie sehr die Welt in diesen schwierigen Zeiten eines braucht: Menschen wie Diego Armando Maradona. Auch wenn sie dick, drogensüchtig und tätowiert sind. GERALD KLEFFMANN