Nach dem Sieg steigen die Verluste

Immer wieder geraten russische Soldaten in einen Hinterhalt tschetschenischer Rebellen. Deren Kommandos können sich trotz gegnerischer Lufthoheit noch relativ frei bewegen. Das Militär gerät unter Erfolgsdruck und verkündet eine neue Strategie

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Schaami-Jurt, Ulus-Kert, Wedeno, Grosny – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen: Schauplätze in Tschetschenien, an denen Russlands siegreiche Armee allein in den letzten vier Wochen hohe Verluste hinnehmen musste. Die Abläufe gleichen sich. Militärkolonnen geraten in einen Hinterhalt und werden von mobilen Kommandos tschetschenischer Rebellen aufgerieben. Wenn Verstärkung überhaupt eintrifft, hat sich der Feind meist verzogen. Danach tritt die russische Generalität auf den Plan. Zunächst wird dementiert, dann beginnt die Schlacht um Verlustangaben und die Suche nach der „Desinformationsquelle“.

Schon Russlands erster Tschetschenienfeldzug von 94 bis 96 förderte eine bittere Einsicht zutage: Die eroberten Gebiete unter Kontrolle zu halten, kostete mehr Leben als der eigentliche Krieg. Die Geschichte scheint sich nun zu wiederholen.

Am Sonnabend verstärkte die Luftwaffe Angriffe auf vermeintliche Stellungen tschetschenischer Kämpfer in der Argun- und Wedeno-Schlucht. Drei Schlupfwinkel der Rebellen seien dabei in der südlichen Bergregion angeblich vernichtet worden. Doch sind die Erfolgsmeldungen oftmals übertrieben. Seit der Schneeschmelze haben die föderalen Truppen in den Bergen keinen Landgewinn verzeichnen können. Am Mittwoch war es russischen Posten an der Grenze zu Dagestan jedoch gelungen, einen Ausbruchsversuch tschetschenischer Freischärler zu vereiteln. Obgleich erfolgreich, belegen dergleichen Vorfälle eher das Gegenteil: wie frei sich mobile Kommandos im Osten Tschetscheniens trotz russischer Artillerie- und Lufthoheit doch noch bewegen können.

Die blutige Pattsituation setzt die Militärs zunehmend unter Erfolgsdruck. So bemühen sie sich, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, sie seien es, die den Kriegsverlauf diktierten. Am Freitag verkündete der Oberkommandierende der russischen Truppen im Nordkaukasus, General Gennadi Troschew, das militärische Vorgehen folge einer neuen Strategie. Man wolle in erster Linie die Feldkommandeure und Warlords liquidieren. Wenn die Führungsfiguren ausgeschaltet seien, so der General, könne man den Dialog mit jenen Kräften aufnehmen, die um Ausgleich bemüht seien. „Wir Militärs kamen hierher, um unseren Verfassungsauftrag zu erfüllen, die Banditen zu vernichten.“ Es seien aber Politiker, die einen Krieg beginnen, „und es ist auch an ihnen, den Krieg zu beenden“. Ein recht durchsichtiger Versuch des Generals, wachsende Zweifel am Primat der Politik im Kaukasuskonflikt zu zerstreuen.

Auch die neue Strategie der „Liquidierung der Warlords“ sieht eher nach Augenwischerei aus. Mit Hilfe des Geheimdienstes konnten zwar einige Kommandeure ausgeschaltet werden. Die maßgeblichen Köpfe gingen indes nicht ins Netz. Sollte das Unternehmen dennoch erfolgreich sein, muss sich der Generalstab eine Frage gefallen lassen: Warum erst jetzt? Zigtausendfaches Blutvergießen hätte man verhindern können.