Herbstlaub im Mai

■ 22 Taxi-Gutscheine und blanke Nerven – das Sturmtief „Ginger“ kappte die Bahn-Verbindungen, blockierte Autobahnen und sorgte für stundenlange Verspätungen

Irgendwann wird man irre: Wenn sich 180 Fahrminuten unendlich langsam verdoppeln. Wenn der Intercity, der sonst mit Brausetempo durch die Bahnprospekte huscht, stundenlang stillsteht. Und wenn man die Ankunft im nicht mehr allzuweit entfernten Bremen von fahrplanmäßigen 22.13 Uhr großzügig auf 1.30 Uhr morgens anvisiert. Zeiten, zu denen sich laut Fahrplan eigentlich das große Gähnen einstellt.

Tatsächlich herrscht aber dichtes Gedränge am Bremer Bahnhof, so als wäre es noch nicht weit nach Mitternacht. Eisesblicke bei den Einsteigenden Richtung Hamburg, die Stunden im kalten Wind verbrachten. Genervte Aussteigende aus dem Süden des Sturmgebiets, die halbe Tage in den Sitzkissen der DB AG zubrachten. Reisende, die quer durch den Ruhrpott geschickt wurden, um einen Anschluss nach Bremen zu ergattern. Die eine satte Stunde auf die Einfahrt in den Dortmunder Hauptbahnhof hoffen durften, während Einheimische aus dem Fenster sprangen und zu Fuß weiterstapften.

Nach alldem: dichte Trauben vor dem Bremer Service Point. Der Wind mit 110 Kilometern pro Stunde ist weg. Die Anschlusszüge auch. Taxifahrscheine werden verschenkt. 22 an der Zahl. „In Bremen hielt sich das aber noch in Grenzen“, berichtet Bahnsprecher Burkhard Ahlert.

Sturmtief „Ginger“ hat ganze Arbeit geleistet: Orkanböen bis zu Windstärke 12 haben dutzendfach Äste auf die Oberleitungen und Gleise gerissen. Der Zugverkehr stand. Und das für Stunden: Totalsperrung der Expresszüge nach Leer und nach Verden, schließlich Busersatzverkehr. Sperrungen Richtung Hannover, dadurch bis zu vier Stunden Verspätung. „Große Behinderungen“ bei Achim, Kirchweyhe und Hude, berichtet Ahlert. Rund 30 Mitarbeiter hat die Bahn rausgeschickt, die Oberleitungen zu flicken, Bäume zu rücken. Erst um 0.30 Uhr konnten die Züge wieder ungestört rauschen. Drei Stunden später wurde die Unwetterwarnung vom Deutschen Wetterdienst aufgehoben.

Auch Autofahrer kamen nur bedingt schneller voran. Um Bremen wurden die B 75 und die A 27 abends gesperrt. „114 Einsätze Richtung Unwetter“ hat die Bremer Polizei gezählt. 200 Einsätze die Feuerwehr. „Nichts Dramatisches dabei“, meint ein Sprecher. Das Schlimmste: ein krachender Baum auf das Dach einer Pizza-Bude. Schaden rund 100.000 Mark „und Gott sei Dank keine Verletzten.“

Richtig ranklotzen musste die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. 96 Personen hatten sie gerettet. In letzter Minute konnten sie noch zwei Fischer vor Cuxhaven vom absaufenden Kahn aufsammeln. Die Fähren hatten den Betrieb gleich ganz aufgegeben.

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