Voll getollschockt

Matthias Eckoldt lädt die Cyberpunk-Formel runter, und Dietmar Dath betreibt spekulative Wissenschaft – Science-Fiction aus deutschen Landen

von TOBIAS RAPP

Wenn man Matthias Eckoldts „Moments Of Excellence“ so anschaut, könnte man denken, dieses Buch sei von A bis Z auf dem Reißbrett eines cleveren Autoren-Lektorenteams erdacht worden: Vorgabe, irgendwie Cyberpunk auf deutsche Verhältnis- se anwenden, irgendwie was Schnelles und Brutales, irgendwie den Literaturstandort Deutschland wettbewerbsfähig machen. Wie geht das?

Das Thema: Computer müssen rein, am besten gleich noch ein Hacker. Biotechnologie muss rein, am besten ein wahnsinniger Wissenschaftler. Und noch was Deutsches – Autos, ein Rennfahrer am besten. Das alles wild übereinander stapeln, eine wüste Geschichte drumrumbauen, das Personal trinken, kiffen und koksen lassen und die wilde Crew des Rennfahrers Sätze sagen lassen wie: „Du nimmst jetzt die Wichsfinger aus der Hose und tippst dreimal dreihundertfünfzig Mark in deine verschissene Kasse“, wenn sie vom Tankwart eine Rechnung wollen.

Dann lässt man den Helden gegen die Reifenmauer prallen, der Hirnchirurg baut ihm einen Chip in den Kopf, der wurde ausgerechnet von einem falschen Philosophieprofessor mit Merksätzen eines antiken Philosophen bespielt – und schon ist das Durcheinander perfekt, Sachen die nicht zusammengehören, sind übereinander geblendet worden und das Buch ist fertig. Ganz schön crazy.

Doch „Moments Of Excellence“ hat das gleiche Problem wie Eigenproduktionen des Fernsehsenders Pro 7. Sie sind zum einen nicht ansatzweise so gut wie die amerikanischen Vorbilder, zum anderen beziehen sie ihren Zeichenvorrat aus dem Bezug auf eben jenes Original und nicht etwa daraus, dass da jemand mit offenen Augen und Ohren durch die Gegend läuft und all diesen Input verdreht und verbrät. Wenn der Verlag dem Buch mit auf den Weg gibt, damit sei „die deutsche Literatur mit Hochgeschwindigkeit im 21. Jahrhundert angekommen“, dann ist das genau das: In den amerikanischen Vorbildern kommt das 21. Jahrhundert in der Literatur an, nicht umgekehrt. Angesichts der Tatsache, dass Eichborn unter anderem deswegen an die Börse gegangen ist, um genug Geld zu haben, die Filmverwertungen seiner Bücher selbst machen zu können, dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis „Moments Of Excellence“ im Fernsehen läuft – so lange kann man warten und dann kann man immer noch wegzappen.

All das sind Probleme, denen sich Dietmar Dath nicht stellen muss. Wollte man sein Buch „Am blinden Ufer“ verfilmen, bräuchte man angesichts eines großangelegten Gemetzels mit Meeresungeheuern aus düsterer Vorzeit und eines Meeres, das zufriert, ohnehin jemanden wie James Cameron. In Daths Roman heißen die Helden nicht Ed, Steve und Lucky, so wie bei Eckholdt, sondern Volker, Christian, Andreas und Cordula, so wie im echten Leben. Und ausgerechnet in der Gegend, wo Volker Leuchtturmmann ist, einer Küstenregion genannt „die Schnitte“, gibt es eine Unschärfe im Raumzeitkontinuum. In dieser Gegend verläuft die Zeit nicht linear. Außer der Abwehr – einem Geheimdienst, der den Leuchtturmmann bezahlt – weiß das allerdings niemand, und so trifft ein Angriff aus der Vergangenheit, ausgeführt von üblen Monstern und untoten Seemännern, die aus den Wracks ihrer Schiffe steigen, die Menschheit einigermaßen überraschend.

Quer durch alle Bücher von Dath gibt es ein verbindendes Thema: die Schulfreunde, die jetzt Mitt- oder Endzwanziger und einigermaßen über die Welt verstreut sind. Diese Konstellation trifft auf irgendein Problem, etwa nicht linear verlaufende Zeitachsen. Das führt dazu, dass man mitten im Inferno eine Art Klassentreffen veranstaltet, das einige Konflikte löst, die einem Magengeschwüre bereitet haben, dafür aber den einen oder anderen über die Klinge springen lassen muss, was einem zu guter Letzt neue Magengeschwüre macht. Innerhalb dieses Rahmens verkoppelt Dath dann die kleine Welt der Volkers und Cordulas mit Meeresbiologie, Astronomie, Physik und allen möglichen anderen Wissenschaften und ihren Vokabularen. Die Orientierungslosigkeit des von Ungeheuern Getollschockten verschmilzt mit der Relativität von Zeit und Raum; ein Teich, in dem Volker als Jugendlicher einmal beinahe ertrank, ist gleichzeitig eine geometrodynamische Anomalie. Das Meer friert zu, die Toten werden zu Stein, und was für den einen wenige Monate sind, dauert für die anderen zwanzig Jahre.

Im Unterschied zu Eckholdt, der sich die Cyberpunk-Formel heruntergeladen hat und dann einfach das Schreibprogramm laufen lässt, ist Daths „Am blinden Ufer“ tatsächlich Speculative Fiction. Wissenschaft und Erzählung verbinden sich zu einem Strudel und am Ende steht ein Fragezeichen.

Matthias Eckholdt: „Moments Of Excellence“. Eichborn, Frankfurt 2000. 227 Seiten, 34 Mark Dietmar Dath: „Am blinden Ufer“. Verbrecher Verlag, Berlin 2000. 232 Seiten, 26 Mark