Der Kompromisslose

Leszek Balcerowicz, der „Vater des polnischen Wirtschaftswunders“ und Chef der regierenden Freiheitsunion, will nicht länger Finanzminister sein

„Wenn es gilt, etwas unter extremen Bedingungen durchzusetzen, ist er ein guter Politiker“, sagte unlängst ein enger Mitarbeiter des polnischen Finanzministers Leszek Balcerowicz über seinen Dienstherrn. „Er ist weniger gut, wenn die Dinge normal laufen, weil er keinen Konsens sucht und keine Kompromisse mag.“

Derzeit gibt Balcerowicz wieder den Kompromisslosen. Gestern reichte der Chef des kleineren Koalitionspartners Freiheitsunion (UW) seinen Rücktritt ein. Dabei ließ sich der 52-Jährige wohlweislich ein Hintertürchen offen. Sollte Premierminister Jerzy Buzek das Rücktrittsgesuch ablehnen, so Balcerowicz, könne man über einen Fortbestand der Koalition verhandeln.

Bis Anfang der 90er-Jahre war Balcerowicz in Polen eine weitgehend unbekannte Größe. 1947 in Lipno geboren, beendete er 1970 die Außenhandelsfakultät der Warschauer Hochschule für Planung und Statistik, absolvierte von 1972 – 74 ein Postgraduiertenstudium in Wirtschaftswissenschaften in New York und promovierte im Jahr darauf zum Doktor der Ökonomie.

1981 stellte er sich der Gewerkschaft Solidarność als Wirtschaftsberater zur Verfügung. Nachdem im Dezember desselben Jahres das Kriegsrecht verhängt worden war, trat er aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) aus. 1989, dem Jahr der politischen Wende, beteiligte sich Balcerowicz als Mitglied des Warschauer Bürgerkomitees der Solidarność an den Gesprächen am Runden Tisch und bereitete die Juni-Wahlen vor, die der bisherigen Opposition den Sieg brachten. In der ersten nicht kommunistischen Regierung unter Tadeuz Mazowiecki wurde Balcerowicz Finanzminister.

In der Folgezeit bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung 1992 verordnete Balcerowicz seinen Landsleuten ein rigides Sparprogramm, das ihn bei den Verlierern zum Buhmann der Nation machte, ihm von seinen Unterstützern jedoch den Namen „Vater des polnischen Wirtschaftswunders“ einbrachte.

Nach den Wahlen von 1997 kehrte Balcerowicz auf seinen angestammten Platz im neuen Kabinett zurück. Im November vergangenen Jahres stellte Balcerowicz, wie von Kritikern immer wieder behauptet, seine Ideologie über den politischen Pragmatismus: Nachdem Präsident Kwasniewski sein Veto gegen Teile der Steuerreform eingelegt hatte, drohte er seinen Rücktritt an. Sollte sein Abgang nun endgültig sein, erwarten Balcerowicz neue Aufgaben: Derzeit wird er für hochkarätige Posten beim Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Bank für Wiederaufbau gehandelt.

BARBARA OERTEL