Bosnier weiterhin schutzbedürftig

Otto Schily kritisiert Abschiebepraxis der Bundesländer und unterstützt Forderungen der Wohlfahrtsverbände

BERLIN taz ■ Die Bundesregierung zeigt Milde gegenüber bosnischen Flüchtlingen. Bereits am Wochenende forderte Bundesinnenminister Otto Schily in einem der taz vorliegenden Schreiben die Innenminister und -senatoren der Länder zu mehr Humanität gegenüber schwer traumatisierten Flüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina auf. Abschiebeandrohungen und Ausreiseaufforderungen, so Schily, führten bei den Betroffenen „regelmäßig zu Retraumatisierungen und machen mühevoll erreichte Behandlungserfolge wieder zunichte“. Deshalb sollte künftig von der Erteilung der auf drei Monate befristeten Duldungen „grundsätzlich abgesehen und der gesetzliche Rahmen ausgeschöpft werden“.

Schily schlägt seinen Länderkollegen vor, bei „chronisch traumatisierten Menschen“ eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, mahnte gestern eine Abschlussregelung für Bosnier an. Die sei acht Jahre nach der Aufnahme der Flüchtlinge und nachdem inzwischen 90 Prozent zurückgekehrt seien, dringend geboten.

Auch Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen haben gestern in Berlin die zwangsweise Rückführung bosnischer Flüchtlinge kritisiert und ein Bleiberecht für besonders schutzbedürftige Menschen gefordert. Von den rund 350.000 Frauen, Männern und Kindern, die während des Bosnienkrieges aufgenommen wurden, lebten derzeit noch rund ein Zehntel in der Bundesrepublik, sagte der Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, Jean-Noel Wetterwald. Etwa 15.000 von ihnen hätten ein „besonders schweres Schicksal“, erlitten und bedürften eines besonderen Schutzes, erklärte er bei der Vorstellung einer gemeinsamen Studie.

Dennoch seien die meisten von ihnen lediglich im Besitz einer Duldung und damit ausreisepflichtig, fügte Wetterwald hinzu. In einzelnen Bundesländern würden auch Traumatisierte, Alte, Behinderte, Kranke, Deserteure, ehemalige Lagerinsassen und Familien mit gemischt-ethnischem Hintergrund unter Ausreisedruck gesetzt.

Marieluise Beck kritisierte, dass auch viele bosnische Flüchtlinge zur Rückkehr aufgefordert würden, die ausgezeichnet in Deutschland integriert seien. Eine Ausreise stelle einen großen Verlust für unsere Gesellschaft dar. „Diesen Verlust dürfen wir uns nicht mehr leisten. Das hat die Green-Card-Debatte deutlich gezeigt“, sagte Beck.

EBERHARD SEIDEL