Spitze auf niedrigem Niveau

Biotech-Branche in Deutschland hat 5.000 Beschäftigte und wächst. Verbände lehnen Novelle ab

BERLIN taz ■ Bisher konnte sich die Biotechnik-Branche über den Wechsel der Bundesregierung nicht beklagen. Um über 10 Prozent wurden die Projektmittel für bio- und gentechnologische Forschung in den Haushaltsjahren 1999 und 2000 jeweils aufgestockt – so stark wie selten zuvor.

Und auch die wirtschaftliche Entwicklung kann sich sehen lassen. Im Jahr 1999 ist die Zahl der Unternehmen, deren Hauptzweck die Kommerzialisierung der modernen Biotechnologie ist, um 25 Prozent auf jetzt 279 gestiegen. Deutschland nimmt damit im europäischen Vergleich erstmals die Spitzenposition bei der Anzahl von Unternehmenen in diesem Sektor ein, heißt es in einer kürzlich vorgestellten Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young.

Europaweit wuchsen die Umsatzerlöse der Biotechnologie-Unternehmen im vergangenen Jahr demnach um 45 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro. Der Gesamtwert des so genannten Life-Sciences-Sektors sei im Jahr 1999 von 10,7 auf 17,8 Milliarden Euro gestiegen, teilte Ernst & Young mit – wobei die Bilanzverluste noch immer bei 1,2 Milliarden Euro liegen.

Dass die Bundesregierung nun die Sicherheitsbestimmungen verschärfen will, mag die Branche kaum glauben. Er wäre „sehr überrascht“, wenn das Gesetz in dieser Form verabschiedet würde, sagte Dr. Rüdiger Marquardt vom Informationssekretariat Biotechnologie. Bei der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie sei von dem Gesetzentwurf bisher nichts bekannt, erklärte Geschäftsführer Gerd Romanowski. Es gebe eine Vereinbarung zwischen der Industrie und der Regierung, die neue EU-Richtlinie komplett in deutsches Recht umzusetzen, und er erwarte, dass das auch geschehe. „Ein neues Gesetz, das nur die Verschärfung der Bestimmungen für S3- und S4-Labore enthält, aber nicht die Erleichterungen bei S1- und S2-Laboren, würden wir entschieden ablehnen“, sagte Romanowski. Andernfalls, so befürchtet er, wäre Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarn erheblich benachteiligt. Das könne angesichts der wachsenden ökonomischen Bedeutung nicht Ziel der Regierung sein, meint der Verbandschef.

Genau dieses wirtschaftliche Gewicht zieht Greenpeace jedoch in Zweifel. „Die Zahlen der Biotechnologie-Industrie werden seit Jahren überbewertet“, meint Christoph Then, Gentechnik-Experte der Umweltorganisation. Weil bisher kaum ein Produkt Marktreife erlangt habe, besäßen die meisten Firmen kein eigenes wirtschaftliches Standvermögen. Besonders im landwirtschaftlichen Bereich, so Then, hätten sich die Erwartungen nicht erfüllt, nicht zuletzt wegen der fehlenden Akzeptanz der Verbraucher.

Auch auf den Arbeitsmarkt hat sich die Biotechnologie bisher kaum ausgewirkt, so Then. Die Bundesregierung habe kürzlich einräumen müssen, dass selbst die niedrigsten Prognosen unterschritten worden seien. Und die Studie von Ernst & Young geht für das Jahr 1999 von nur 5.000 Beschäftigten im Biotechnik-Sektor aus. MALTE KREUTZFELDT