Die Skeptiker

Die Home-Recording-Supergroup Grandaddy distanziert sich vom kalifornischen Fortschrittsglauben  ■ Von Jörg Feyer

In einem ohnehin geschichtslosen Land ist Kalifornien das berühmte Tüpfelchen auf dem I. Nirgendwo sonst in den USA scheint so wenig Vergangenheit zu sein. Und so viel Zukunft. Das ewige, uramerikanische Versprechen der New Frontier erfüllt sich an der Westküste am Beginn eines neuen Jahrhunderts in den rasenden Innovationszyklen des Chip-Geschäfts, in den Verheißungen einer Gen- und Bio-Technologie, die traditionelle Körperkonzepte aus der Bahn wirft. Doch wo der vermeintliche Fortschritt in Sieben-Meilen-Stiefeln unterwegs ist, dürfen die Skeptiker nicht fehlen.

Einer der größten und versiertesten sitzt in Modesto, 75 Meilen östlich von San Francisco im San Joaquin Valley gelegen, einer Art Agrar-Gegenstück zum Computer-Mecka Sillicon Valley. Neben einem Farmhaus am Rande der Stadt hat sich dort Jason Lytle sein kleines Home-Recording-Reich eingerichtet, um den (Sonder-)Müll der technologischen Revolution zusammenzukehren. Ausrangierte Haushaltsgeräte und überalterte Computer wecken dabei ebenso sein Interesse wie „obdachlose Menschen mit Handys“.

Das musikalische Vehikel für seine Aufräumarbeiten heißt seit 1992 Grandaddy. Zunächst betrieb Lytle die Band im Trio-Format. Kevin Garcia (Bass) und Aaron Burtch (Schlagzeug) stellen noch heute das rhythmische Rückgrat, Jim Fairchild (Gitarren) und Tim Dryden (Keyboards) sorgen seit 1995 für zusätzliche Akzente, Opulenz, Klangfarbe. Manchmal ist der Fortschritt halt selbst für Skeptiker nicht zu verhindern.

Im Booklet des aktuellen Albums The Sophtware Slump liegen alte Apple-Keyboards in steinigem Schotter herum, und Grandaddy klingen dazu in ihren Pop-Momenten, als sei ein Tape mit lange verschollen geglaubten Songfragmenten des Electric Light Orchestra in einer Erdbebenspalte aufgetaucht, von wo es plötzlich aus einem betagten Rekorder heraufschallt. Das eigentliche Wesen der Formation ist jedoch die Elegie, die Jason Ly-tle mit weicher, hoher Stimme intoniert, etwa gleich zum Auftakt das gut 8-minütige „He's Simple, He's Dumb, He's The Pilot“. Persiflage und Überzeichnung von Techno- und Bürokratie – vor zwei Dekaden noch ein probates Stilmittel der Futuristen Devo („Mongoloid“) – sind ihm ebenso fremd wie der flotte Tanz auf den Verhältnissen. „I try to sing it funny like Beck“, singt Ly-tle. „But it's bringing me down, lower than ground.“

Devos Frage, ob da überhaupt noch Menschen am Werk sind, reichen Grandaddy an jeden einzelnen weiter: „I believe they want you to give in. Are you giving in 2000 Man?“ Lytle und Co. wollen jedenfalls noch nicht nachgeben, beharren darauf, dass doch „die Maschinen immer von Menschen bedient werden, nicht umgekehrt“, sagen aber doch schon mal „das Aussterben einer gewissen Sorte Mensch“ voraus, „in einer Welt, die weniger Bescheidenheit, Reserviertheit, Phantasie und menschliches Miteinander erfordert“. Den künstlichen Spielgefährten geht es schon heute in den Songs von Grandaddy nicht besser. Die traurige Geschichte von Aufstieg und Fall des „Jed The Humanoid“ etwa liest sich wie eine Fortschreibung des unter Drähten zuckenden Ash am Ende von Alien. Da strafen ihn seine Macher – längst mit einem neuen Spielzeug auf dem Weg zur nächsten Messe – mit Vernachlässigung, woraufhin sich der arme Jed unwissend mit den Alkoholvorräten seiner Erfinder tröstet. Das Ende vom Lied? Genau: „He fizzled and popped, he rattled and knocked. And finally he just stopped – Er rüttelt und schüttelt sich, die Innereien spielen verrückt bis gar nichts mehr geht.“

Jason Lytle denkt vorläufig noch nicht ans Aufhören. Und da Modes-to ein „Drecksloch in Sachen Auftrittsmöglichkeiten“ (Lytle) ist, riskieren Grandaddy gern auch auf europäischen Bühnen einen Blick in die Vergangenheit der Zukunft. Ein bisschen mitgucken kann nicht schaden. Bevor dann wieder Laptop und Internet rufen.

Mi, 7. Juni, 21 Uhr, Molotow