■ Filmstarts à la carte
: Tradition und Moderne

Nach der Schließung des alten Arsenals in der Welserstraße hat das Kino der Freunde der Deutschen Kinemathek nunmehr eine neue Heimat am Potsdamer Platz gefunden, wo jetzt sogar zwei Säle bespielt werden. Am 1. Juni um 19 Uhr ist Eröffnung mit Überraschungsfilmen und Sektempfang. Anschließend zeigt man noch einmal den Film, der dem Kino seinen Namen gab: Alexander Dowshenkos „Arsenal“, ein sowjetrevolutionäres Werk aus dem Jahr 1928 über den Aufstand in einer ukrainischen Munitionsfabrik. Überhaupt knüpft das Juni- Programm an alte Traditionen an: So gibt es beispielsweise wie alle Jahre die jeweils für den Deutschen Filmpreis nominierten Werke zu sehen, darunter Wim Wenders‘ „The Million Dollar Hotel“ und Leander Haußmanns DDR-Posse „Sonnenallee“. Und mit einer Reihe von japanischen Filmen der neunziger Jahre wird die noch im alten Haus begonnene Japan-Retro fortgesetzt. Im Kino 2 widmet man sich derweil unter dem Titel „Magical History Tour in 365 Filmen“ der Kinogeschichte und fängt konsequenterweise ganz vorne an: mit dem „Grand-Café- Programm“ der Gebrüder Lumière, das am 28. Dezember 1895 erstmals vor zahlendem Publikum aufgeführt wurde. Das Programm enthält unter anderem auch den berühmten Film „L‘arriveé d‘un train à La Ciotat“, der bei den ersten Kinobesuchern einigen Schrecken auslöste, weil die am Bahnsteig einfahrende Lokomotive geradewegs auf sie zuzukommen schien. Ganz anders gestaltet sich das am 1. November 1895 erstmals vorgeführte „Wintergarten- Programm“ der Gebrüder Skladanowsky, das auschließlich aus nur wenige Sekunden langen Varieté- Darbietungen besteht: vom „Italienischen Bauerntanz“ über ein „Boxendes Kanguruh“ bis zum „Jongleur“ und einem „Acrobatischen Potpourri“. Einen wichtigen Vorläufer hatte das Kino in dem in die USA emigrierten britischen Fotografen Eadweard James Muybridge, dessen Experimenten Regisseur Thom Andersen in seinem Dokumentarfilm „Eadweard Muybridge, Zoopraxographer“ nachspürt. Muybridges Arbeit kreiste vor allem um Bewegungsstudien von Tieren und Menschen, die er mit Hilfe von Serienfotografien erstellte. Um den Eindruck von Bewegung zu erzeugen, entwickelte Muybridge das Zoopraxiscope, bei dem die einzelnen Bewegungsphasen auf eine sich drehende Glasplatte gezeichnet wurden, während eine gegenläufig rotierende und mit Schlitzen versehene Scheibe für die Animation sorgte.

„Arsenal“ (OmÜb) 1.6. im Arsenal 1, 2.6. im Arsenal 2; „Grand-Café-Programm“, „Wintergartenprogramm“, „Eadweard Muybridge, Zoopraxographer“ 2.6. im Arsenal 2

Nach acht Minuten wird zum ersten Mal gesprochen. Nach zwanzig Minuten sind ungefähr fünfzehn Sätze gefallen - Jean-Pierre Melville wußte sich in seinen Filmen stets auf das Notwendige zu beschränken. „Der eiskalte Engel“ ist eine stilisierte, fast abstrakte Studie zu Melvilles Lieblingsthemen und -thesen: der existentiellen Einsamkeit des Menschen, seinem Wunsch nach Freundschaft, der Austauschbarkeit von Verbrechern und Polizei. Den Charakter des Berufskillers Jeff Costello (Alain Delon) beschreibt das Interieur seiner trostlosen Wohnung: ein Bett, ein Schrank, eine leere Kommode. Eine Beziehung unterhält Costello allenfalls zu seinem Vogel, dessen Bauer das Zimmer zu beherrschen scheint. Eine erstaunliche Ähnlichkeit im Gebaren besteht allerdings zwischen Costello und den beiden Polizisten, die in seiner Wohnung ein Abhörgerät anbringen: Mit der gleichen Professionalität und Seelenruhe, mit der Costello sonst Autos knackt, brechen die Polizisten in seine Wohnung ein - und sogar die Schlüsselbünde sehen sich zum Verwechseln ähnlich.

„Der eiskalte Engel“ 6.6. in der Urania

Lars Penning