MINISTERPRÄSIDENT KOCH WILL GERICHTLICHE WAHLPRÜFUNG VERMEIDEN
: Trickreiches Kalkül

Der hessische Ministerpräsident fühlt sich zu gut behandelt und klagt deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht. Das klingt zwar absurd, hat aber einen tieferen Sinn. Roland Koch will nämlich das hessische Wahlprüfungsgericht aushebeln, und da ist er mit juristischen Argumenten nicht gerade wählerisch. Immerhin könnte ihn die laufende Prüfung der hessischen Landtagswahl um Amt und Macht bringen, denn bei einer Neuauflage der Wahl muss er um die Mehrheit fürchten.

Nun soll Karlsruhe das hessische Wahlprüfungsverfahren stoppen, weil es angeblich rechtsstaatswidrig ist. Konkret moniert die hessische Regierung, dass an der Wahlprüfung neben zwei Berufsrichtern auch drei Landtagsabgeordnete, je einer von den Regierungsparteien CDU und FDP sowie ein SPDler, beteiligt sind. Tatsächlich ist diese Regelung für Koch eher günstig. Dass das Wahlprüfungsgericht dennoch mit Mehrheit von einer „sittenwidrigen“ Finanzierung des CDU-Wahlkampfes spricht, ist gerade nicht Folge der ungewöhnlichen Zusammensetzung des Gremiums. Treibende Kräfte für die harte Linie gegen Koch sind vielmehr die beiden Berufsrichter Bernhard Heitsch und Brigitte Tilmann, gegen die die Union Befangenheitsanträge gestellt hat. In der Klageschrift für Karlsruhe heißt es aber: Nur Berufsrichter könnten zuverlässig und unabhängig Wahlen prüfen. Die Erfolgsaussichten von Kochs Klage schmälert dies allerdings nicht. Denn bei der „abstrakten Normenkontrolle“ muss gerade keine Verletzung eigener Rechte geltend gemacht werden. Gut möglich ist, dass Karlsruhe die Klage der Hessen ablehnen und die dortige Form der Wahlprüfung als noch zulässig akzeptieren wird. Immerhin ist das Verfahren bereits seit 50 Jahren in der hessischen Landesverfassung geregelt und mehrfach vom Staatsgerichtshof für zulässig erklärt worden.

Doch letztlich interessiert sich Roland Koch nur wenig für den Ausgang des Verfahrens, das Jahre dauern kann. Wichtig ist ihm vielmehr, dass das Wahlprüfungsgericht seine Tätigkeit sofort einstellt. Dazu ist es freilich nicht verpflichtet, denn die Verfassungsklage der Regierung hat keinerlei aufschiebende Wirkung. Um diese herzustellen, müsste Karlsruhe eine einstweilige Anordnung erlassen – die Koch allerdings nicht beantragt hat. Doch auch das dürfte Kalkül sein. Koch will die Gefahr einer schnellen juristischen Niederlage erst gar nicht eingehen. Der hessische Regierungschef hofft vielmehr, dass das Wahlprüfungsgericht das Verfahren aussetzt, bis Karlsruhe entschieden hat. Dann könnte Koch in Ruhe die Legislaturperiode zu Ende regieren. Insofern ist auch der Gang nach Karlsruhe vor allem ein Mittel brutalstmöglicher Öffentlichkeitsarbeit. CHRISTIAN RATH