Provinzfürsten gehts an den Kragen

Auf Druck des Kreml debattiert die Duma heute den Umbau des föderalen Systems in Russland. Nicht nur Gouverneure und Regionalparlamente sollen entmachtet werden. Auch gewachsene Strukturen einer Zivilgesellschaft sind gefährdet

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Murtasa Rachimow hatte noch keine Lust, auf dem Altenteil zu sitzen. Die erste Amtsperiode des Präsidenten der mit Öl und Rohstoffen gesegneten Republik Baschkortostan neigte sich dem Ende zu. Einer zweiten Kandidatur stand die Verfassung der Republik im Wege. Sie schrieb vor, Präsidentenanwärter dürften nicht älter als 60 Jahre sein. Was tun? Das Parlament in Ufa zog den Urnengang ein halbes Jahr vor. Murtasa erhielt eine komfortable Mehrheit und keinen erregte, dass er gleich gegen zwei Verfassungen, die der Republik und der Russischen Föderation, verstoßen hatte.

Die Selbstherrlichkeit des baschkirischen Autokraten ist unter den Chefs der 89 „Subjekte der Russischen Föderation“ keine Ausnahme. Doch konnte Wladimir Putin mit diesem Beispiel eindrücklich belegen, warum die föderale Struktur des Landes dringend eines Umbaus bedürfe. Den programmatischen Forderungen des Kremlchefs, eine „Diktatur des Gesetzes“ einzuführen und die „Macht der Vertikale“ zu straffen, kann sich so niemand widersetzen. Mehr als die Hälfte der Föderationssubjekte haben im vergangenen Jahrzehnt Gesetze erlassen, die der Verfassung widersprechen. Von den 21 autonomen Republiken hat nur eine ein Grundgesetz, das sich mit der russischen Konstitution vereinbaren lässt.

Gegen den Willen der Senatoren im Oberhaus des Parlaments befasst sich die Duma heute bereits mit dem Gesetzespaket. Die gewünschten Änderungen sind einschneidend. So sollen die gewählten Regionalchefs und Vorsitzenden der Parlamente nicht mehr automatisch als Senatoren in die zweite Kammer einziehen. Entweder werden die neuen Senatoren von den Parlamenten in der Region ernannt oder vom Volk gewählt. Überdies behält sich der Präsident vor, Gouverneure und Republikspräsidenten zu entlassen, falls sie gegen föderales Recht verstoßen.

Noch fehlt das rechtliche Instrumentarium, an dem Entwurf werde angeblich aber gearbeitet. Verläuft alles nach dem Willen des Kreml, wird die Zentrale in Zukunft auch befugt sein, die regionalen Parlamente aufzulösen.

Verlieren die Regionalchefs ihren Sitz im Föderationsrat, würden sie automatisch auch die parlamentarische Immunität einbüßen. So mancher Republiksfürst mag bei dem Gedanken kalte Füße bekommen.

Präsident Putin hofft unterdessen, mit einem Köder die Zustimmung der Gouverneure zu gewinnen. Im Tausch gegen Vollmachten auf föderaler Ebene bietet er ihnen den Zugriff auf Einrichtungen der lokalen Selbstverwaltung an. Kommt dieser Kuhhandel zustande, wären Bürgermeister und Vertreter der lokalen Parlamente vom Wohlwollen der Gouverneure abhängig. Dass diese die Chance nutzen, steht außer Frage. Damit wären aber die Keimzellen einer zivilen Gesellschaft endgültig beseitigt.

Vermutlich wird die erste Lesung im Sinne Putins verlaufen. In der folgenden Sitzung rechnet der Kreml mit einem Klimasturz. Besonders jene Gesetze dürften auf Widerstand stoßen, die vorsehen, die Immunität aufzuheben, Parlamente aufzulösen und die den Kremlchef ermächtigen, Nachfolger geschasster Gouverneure zu ernennen.

Auch die verfassungsrechtliche Kompetenz des neuen Oberhauses ist umstritten. Im Unterschied zu den Praktiken der früheren KP-Generalsekretäre, die unliebsame Funktionäre nach Gutdünken aus dem Amt jagten, sieht Putins Reform die Einhaltung des Rechtsweges vor. Auf dem Papier zumindest: Gerichte haben das letzte Wort.

Inzwischen setzen in den neuen sieben Großregionen Putins Statthalter die Interessen des Zentrums durch. Die von Putin ernannten „Supergouverneure“ sollen Polizei, Geheimdienst, Gerichte und Truppen des Innenministeriums unter Moskauer Kontrolle bringen. Nur zwei der Kremlemissäre sind Zivilisten, die übrigen stammen aus dem Geheimdienst oder der Armee. Der Gefahr, die Sonderbeauftragten könnten sich den materiellen Offerten der Gouverneure nicht erwehren, will der Kreml durch großzügige Finanzierung entgegenwirken. Ob es gelingt, mit der zentralen der lokalen Bürokratie das Handwerk zu legen? Zweifel sind angebracht. Die Institution der Supergouverneure gehört indes nicht zum neuen Gesetzesentwurf. Sie untersteht dem russischen Präsidenten.