Endgültig Schluss mit lustig

Hinter der Entlassung der Chefredaktion des Münchner „SZ-Magazins“ steht ein Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen journalistischen Kulturen

von STEFFEN GRIMBERG, JENS KÖNIG
und PATRIK SCHWARZ

Wenn man am Tag nach dem großen Eklat bei der Süddeutschen Zeitung anruft, beginnt man die Nöte zu verstehen, die Tom Kummer mit den zickigen Stars von Hollywood hatte: Kaum einer will reden.

Gestandene Journalisten, sonst weder für ihre Wortkargheit noch ihr mangelndes Interesse an Neuigkeiten bekannt, bekommen kaum die Zähne auseinander. Sind sie zum Schweigen vergattert? „Ja“, sagt ein Redakteur, und damit ist das Telefonat auch schon wieder beendet. Die plötzlich um sich greifende Verschwiegenheit ist beredt, sie vermittelt einen Eindruck davon, wie ernst die aktuelle Krise in München genommen wird. Was als Skandal um gefälschte Star-Interviews beim SZ-Magazin begann, einer redaktionell unabhängigen Schwester des Hauptblattes, hat sich längst zum Konflikt zwischen beiden Häusern ausgewachsen. Seit Tagen fährt SZ-Chef Hans Werner Kilz, der um den Ruf seiner Zeitung fürchtet, einen Kurs rücksichtsloser Aufklärung. Sogar dass er die Köpfe der beiden Magazin-Chefs rollen sehen wollte, wird kolportiert.

Am Montag hat die Verlagsleitung die beiden Chefredakteure des SZ-Magazins, Ulf Poschardt und Christian Kämmerling, entlassen.

Von öffentlicher Aufarbeitung kann man seitdem nicht mehr sprechen. Die SZ-Chefredaktion um Kilz hatte auf ihren Sonderseiten am Wochenende noch auf ihre Rolle bei der Aufklärung der „Verfehlungen von Regierungen und Parteien“ hingewiesen. „Die Süddeutsche Zeitung will deshalb, wenn es um ein ihr beigelegtes Magazin geht, dieselben Maßstäbe anlegen.“ Tatsächlich dringt nur wenig durch den eisernen Vorhang des Schweigens, der sich über SZ und SZ-Magazin gesenkt hat.

Unbestritten ist: Kummer hat seinen schier unerreichbaren Gesprächspartnern in Hollywood gleich seitenweise Worte in den Mund gelegt. Unklarheit herrscht dagegen über die entscheidende Frage: Was wusste die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung über die Vorgänge im Nachbarhaus?

Die Süddeutsche und ihr Magazin ebenso wie die Personen Poschardt und Kilz verkörpern zwei unterschiedliche journalistische Grundauffassungen, ja, mehr noch: zwei Kulturen, zwei Lebenswelten, zwei Generationen, die sich vielleicht gegenseitig respektieren, die sich aber nicht verstehen, nicht einmal nach Feierabend beim Bier – weil dort, wo Ulf Poschardt sein Bier trinkt, stadtbekannte DJs ihre Musik auflegen, von der Hans Werner Kilz nicht einmal weiß, dass man sie als Musik bezeichnen darf.

Der 56-jährige Kilz ist das Fleisch gewordene Nachrichtenmagazin, ein Rechercheur, ein Wühler, ein Faktenfetischist. Er arbeitete 25 Jahre beim Spiegel, zuletzt als Chefredakteur. In den fünf Jahren, die er die SZ jetzt leitet, hat er aus der guten Zeitung die vielleicht beste in Deutschland gemacht, er hat ihre Auflage gesteigert, und er hat ihr eingebläut, dass zu einem angesehenen Blatt, das besser als die FAZ sein möchte, nicht nur glänzende Reportagen, scharfe Glossen und ein selbstverliebtes Feuilleton, sondern auch staubtrockene, aber exklusive Nachrichten gehören.

Der 33-jährige Poschardt ist all das, was Kilz nicht ist: ein Pop-Journalist, ein Grenzgänger, ein Spieler mit Fakten und Worten, ein Ironiefetischist. Er hat seine Promotion über „Diskjockeys und Popkultur“ geschrieben, in der er das Remixen, das Mischen verschiedener Songs, als eigene Kunstform darstellt, der es nicht darauf ankommt, die Authentizität eines Werkes zu retten, sondern eine neue Authentizität zu schaffen.

Als das SZ-Magazin 1996 plötzlich ohne seinen Gründer und Übervater Andreas Lebert dastand, schien Poschardt genau der Richtige, das innovative und respektlose Heft, das dem Verlag zwar kein Geld, aber immer viel Ansehen eingebracht hat, weiterzuführen. Der Verlag entschied sich damals gegen ein konkurrierendes, internes Konzept. Poschardt, sagt einer vom Konkurrenzteam heute, hatte die „glamourösere Lösung“. Die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung war bei dieser Entscheidung über Leberts Nachfolgr außen vor, aber ihr waren die unterschiedlichen Konzepte bekannt – und wie es heißt, war Kilz damals nicht gegen Poschardt und Kämmerling als neues Führungsduo des Magazins.

So erfolgreich das Team war, so umstritten waren manchmal seine Methoden. Ehemalige Mitarbeiter klagen über „ein Dauerklima des permanenten Pointenterrors“. Immer mal wieder seien die Kollegen vom Hauptblatt auch darauf hingewiesen worden, weiß ein Ehemaliger des SZ-Magazins. „Das war folgenlos. Das hat die nicht interessiert“, sagt er. Er lässt den Einwand nicht gelten, im Haupthaus habe über das bisweilen abenteuerliche Verständnis von Wahrheit beim Magazin niemand Bescheid gewusst. Allein aufgrund ihrer Neigung zur Selbstdarstellung gelte für Poschardt und Kämmerling: „Man kann diese Leute nicht ‚nicht kennen‘.“

Kilz selbst respektierte die Arbeit Poschardts und Kämmerlings, selbst wenn es nicht seine Welt des Journalismus war. Erst als das Magazin in einer ironischen Titelgeschichte Ernst August von Hannover, dem Prinzen, der mehrfach Paparazzi-Journalisten geschlagen hat, ein „Prügel-Gen“ unterstellte, war auch Kilz’ Geduld zu Ende. Nicht Ulf Poschardt wurde Tage nach dieser Magazin-Geschichte in der Bild-Zeitung zum „Verlierer des Tages“ gemacht, sondern Hans Werner Kilz.

Am Montag um 16.00 Uhr traten die gerade entlassenen Magazin-Chefs Poschardt und Kämmerling vor ihre Redaktion. Über das, was in der folgenden Stunde wirklich vorging in den Räumlichkeiten in der Hackenstraße 7 drangen nur Gerüchte nach draußen – Geschichten, wie sie das Leben so selten und Tom Kummer so oft schreibt: zu schön, um wahr zu sein. Kämmerling, so erzählt ein Informant, habe seinem Faible für schräge Auftritte ein letztes Mal gehuldigt. Sagt der frisch Gefeuerte zur bange wartenden Kollegenrunde: „Kilz ist entlassen worden.“ Ein anderer bestreitet, dass der Satz je gefallen ist.