Auslaufmodell, 43, sympathisch, sucht Hit

Rüschenhemdliebhaber, überzeugter Romantiker, letzter Bandit, Rockbarde: Seit über zwanzig Jahren zieht der englische Kreuzberger Nikki Sudden mit seiner Gitarre durch kleine Clubs in der ganzen Welt. Das schlaucht zuweilen, doch genug hat er davon nie: „Was ich mache, ist doch besser als arbeiten“

von THOMAS WINKLER

Es wird Zeit, dass Nikki Sudden endlich reich und berühmt wird. 28 Jahre nach dem Kauf seiner ersten Gitarre, 26 Jahre nach der Gründung der ebenso erfolglosen wie legendären Swell Maps, nach ungefähr 20 LPs, einer Handvoll Singles, ungezählten Konzerten, vielfachen Erdumrundungen, einigen Dutzend in Lieder verarbeiteten Liebschaften und einer unbestimmten Anzahl durchgetragener Rüschenhemden wird es wirklich Zeit. Weil er es einfach verdient hat nach all den Jahren. Und weil er nicht ewig in Kreuzberg mit seinem Namen an einem Klingelschild an der Straße leben will, sondern irgendwann einmal in einem Schloss.

Um diesen Traum finanzieren zu können, müsste sich das gerade erschienene Best-of-Album „The Last Bandit“ allerdings sehr viel besser verkaufen, als man erwarten darf. Denn all die langen Jahre haben ihn zwar die Kritiker geliebt, aber das Publikum größtenteils ignoriert. Seine Fangemeinde ist zwar außerordentlich treu, aber auch überschaubar. So sieht Sudden oft bekannte Gesichter bei seinen Auftritten.

Diese Auftritte sind immer noch bemerkenswert. Selbst wenn sie nachmittags in einem Cafe an der ehemaligen Sektorengrenze stattfinden. An einem der heißesten Tage dieses heißen Frühlings erscheint der inzwischen 43-jährige Sudden zum Interview in vollem Ornat: Mit Samtjacke im Paisleymuster, behängt mit Tüchern, Ringe an den Fingern, die Haare wirr, aber nicht zufällig vom Kopf abstehend, sieht er aus wie Keith Richards’ kleiner Bruder. Köpfe drehen sich, und auch wenn niemand ihn erkennt, fragt sich jeder, woher diese Erscheinung aus den Sechzigern wohl kommen mag. „Was ich am Älterwerden nicht mag“, sagt Sudden, „ist, dass man schlechter aussieht.“

Dann erzählt er begeistert davon, was für eine großartige Stadt zum Leben Rothenburg ob der Tauber wäre, gäbe es nur keine Touristen dort. Oder auch Tübingen. Seit dreieinhalb Jahren ist allerdings Berlin seine Homebase, und auch wenn er die Hauptstadt im Gegensatz zu seinen früheren deutschen Domizilen Hamburg und Frankfurt vergleichsweise gut leiden kann, gibt es wohl kaum einen Menschen, der so sympathisch deplaziert wirken könnte wie Sudden inmitten der neuen Mitte.

Dass er ein Auslaufmodell sein könnte, hat Sudden in den letzten Jahrzehnten zwar registriert, aber erfolgreich verdrängt. „Ich lebe wohl auf meiner kleinen Insel“, sagt er freundlich grinsend, „und ab und zu erleiden ein paar Leute auf derselben Insel Schiffbruch und bleiben da“. Alan MacGee, der Chef seines damaligen Labels Creation, hat irgendwann in den Achtzigern mal versprochen, aus ihm einen Star zu machen. Darauf wartet er noch heute. „Wenn ich zehn Jahre früher geboren wäre und in den Sixties angefangen hätte“, ist er überzeugt, „wäre ich sehr viel erfolgreicher gewesen.“

Selbst der Verlust seines Bruders Epic Soundtracks, mit dem er dereinst die Swell Maps gegründet hatte, hat ihn nicht dazu gebracht, seinen Lebensentwurf grundsätzlich neu zu überdenken. Nicht ganz drei Jahre nach dem bis heute ungeklärten Tod glaubt er weiter an den Rock ’n’ Roll als Lifestyle, und dass der Erfolg ihn doch noch eines Tages heimsuchen könnte. „Was ich mache, ist doch viel besser als arbeiten.“ Aber Sudden ist Realist genug, nicht mehr fest mit dem einen Hit zu rechnen, der ihm ein Auskommen bis ans Ende seiner Tage bescheren würde.

Der Spiegel hat unlängst seinen bürgerlichen Namen verraten. Das fand Nikki Sudden gar nicht komisch. Ein bisschen Geheimnis muss sein. Ein bisschen Geheimnis ist romantisch und – zugegeben – sein spießiger Geburtsname will gar nicht zu dem Romantiker passen, der Sudden immer war, immer ist und immer bleiben wird. Über neue Lieben schreibt er euphorische Songs, die immer ein wenig sentimental sind. Aber eine Liebe kann auch zu Ende gehen. Darüber schreibt er dann melancholische Songs, die niemals richtig traurig werden. „Einen guten Song zu schreiben“, sagt er, „ist ein unvergleichlicher Rausch.“

Weil Sudden zeit seines Lebens auch anderen Räuschen nie abgeneigt war, muss er sich „gesund ernähren“. Seit Jahren isst er kein Fleisch, keinen Fisch, verzichtet auf Eier, Joghurt und Käse. Vor kurzem hat ihm jemand erzählt, dass Milch schlecht ist für die Stimme. Seitdem ist der Speiseplan noch eingeschränkter. Dass er an England ausgerechnet das Essen vermisst, darüber muss er selber lachen.

Bei einem der letzten Besuche zu Hause hat seine Mutter wieder einmal die fehlende Alterssicherung des Sohnes beklagt. „Meine Songs sind meine Rente“, hat Nikki Sudden ihr geantwortet. Und tatsächlich wurden einige seiner Kompositionen in den letzten Jahren von Bands wie Lemonheads oder Mercury Rev gecovert. So kommen noch ein paar Tantiemen in die Kasse.

Das Schloss Colditz im Sächsischen wäre unlängst für nur eine einzige Mark zu haben gewesen. „Aber dann hätte ich 100 Millionen investieren müssen“, erzählt er. Sieht wohl ganz so aus, als müsse Nikki Sudden doch noch reich und berühmt werden.

Nikki Sudden: „The Last Bandit“ (Glitterhouse/TIS)