„Das geht auch gegen die Ehre“

Wollen nicht nur als Kostenfaktor gelten: Der Tarifkoordinator der ÖTV, Erhard Ott, über die Motivation der Mitglieder für einen Arbeitskampf

taz: Herr Ott, werden demnächst Busse nicht fahren, Kindergärten vorübergehend geschlossen und wird der Müll nicht abgeholt?

Erhard Ott: Damit müssen alle rechnen, dass alle Bereiche des öffentlichen Dienstes in Arbeitskampfmaßnahmen mit einbezogen werden, auch Kindertagesstätten, öffentlicher Nahverkehr.

Fürchten Sie nicht den Unmut der Bevölkerung?

Es war in der Vergangenheit wenig problematisch, das Verständnis der Bevölkerung zu gewinnen. Wenn die Beschäftigten in ihrer Einkommensentwicklung abgekoppelt werden sollen von der allgemeinen Entwicklung, dann gibt es schon Verständnis dafür, wenn sie sich wehren.

Oft aber heißt es: Den Leuten im öffentlichen Dienst geht’s gut, die genießen einen hohen Kündigungsschutz, die sollen sich mal nicht so haben.

In der Privatwirtschaft werden Tarifverträge abgeschlossen, die Einkommenserhöhungen in diesem Jahr zwischen zwei und drei Prozent vorsehen. Da dürfen wir nicht hinterherhinken.

Kann man den öffentlichen Dienst überhaupt mit der Privatwirtschaft vergleichen? Schließlich werden die Gehälter aus Steuergeldern bezahlt und die Produktivität wird nicht gemessen . . .

Es hat im öffentlichen Dienst viele Veränderungen gegeben, zum Beispiel im Öffentlichen Personen-Nahverkehr, bei der Stadtreinigung oder den Krankenhäusern. Man kann nicht sagen, dass der öffentliche Dienst in der Produktivität stehen geblieben ist.

Es war dennoch eine Überraschung nach dem Schlichterspruch, dass die Basis der ÖTV nicht mitzieht und tatsächlich streiken will für mehr Geld. Woher kommt dieser Unmut?

Ich glaube, dass bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst ein erheblicher Unmut vorhanden ist, weil sie seit Jahren in der Öffentlichkeit nur als Kostenfaktor dargestellt werden und ihre Leistungen auch von den politischVerantwortlichen nicht hinreichend anerkannt werden. Das geht auch gegen die Ehre.

Ist die Ablehnung vor allem aus den neuen Ländern gekommen?

Das geht bundesweit über alle Bereiche. In den neuen Bundesländern war allerdings die Ablehnung besonders deutlich, weil es eben keine Perspektive gab, wann denn die Tarifeinheit endlich kommt.

Apropos Ehre: ÖTV-Chef Herbert Mai hatte der Großen Tarifkommission empfohlen, den Schlichterspruch anzunehmen. Ist Mai jetzt angeschlagen?

Es ist auch als Zeichen der Stärke zu betrachten, dass ein Vorsitzender, der sieht, dass ein Schlichterspruch von der Mehrheit nicht getragen wird, dann diese demokratische Mehrheitsentscheidung akzeptiert und vertritt.

Der Streik 1992 endete damit, dass die Basis mit dem erreichten Ergebnis nicht zufrieden war. Könnte das jetzt auch passieren?

1992 war die Erwartungshaltung an die Forderung der ÖTV, an den Schlichtungsspruch und das Tarifergebnis sehr viel höher und da wurden auch Erwartungen geweckt, die nach dem Arbeitskampf nicht erfüllt werden konnten. Diese Situation sehe ich gegenwärtig aber nicht.

Womit wäre die ÖTV denn zufrieden?

Ich nenne jetzt natürlich keine Zahlen. Aber wie gesagt, die Abschlüsse in der Privatwirtschaft liegen für dieses Jahr zwischen zwei und drei Prozent. Da dürfen wir nicht hinterherhinken.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH