Heimliche Stippvisite in Peking

Nordkoreas Staatschef besucht zum ersten Mal das Ausland. In Peking signalisiert der Diktator, dass er sein bislang hermetisch abgeschottetes Land wirtschaftlich öffnen will

PEKING taz ■ Kim Jong-Il, der wohl geheimnisvollste Diktator der Welt, ist aus dem Dunkel getreten. Der nordkoreanische Staatschef reiste von Montag bis Mittwoch nach Peking und traf sich dort mit seinem chinesischen Gegenüber Jiang Zemin und anderen hochrangigen Kommunisten. Außerdem besuchte Kim eine chinesische Computerfirma. Erst gestern berichteten die chinesischen Medien von der zunächst geheimgehaltenen Visite.

Kim, der seit der Amtsübernahme von seinem 1994 verstorbenen Vater und Republikgründer Kim Il Sung über Hungerkatastrophen und Wirtschaftsverfall in Nordkorea regiert, war zuvor nie mit ausländischen Staatsoberhäuptern zusammengetroffen. Sein Land hatte er zuvor nur einmal vor siebzehn Jahren verlassen.

Kims in Diplomatenkreisen nicht ganz unerwartetes Stelldichein bei den kommunistischen Reformern in Peking ist das bislang deutlichste Öffnungssignal eines nach außen völlig verschlossenen Landes. Seine Reise steht zweifellos im Zusammenhang mit dem ersten Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südkorea, das nach den jüngsten Vereinbarungen zwischen Pjöngjang und Seoul am 12. Juni stattfinden soll.

Konkrete Ergebnisse der Gespräche mit Kim wurden in Peking nicht mitgeteilt. Aber auch so vermittelt der Besuch eine Menge neuer Erkenntnisse. Vor allem der symbolische Besuch des nordkoreanischen Regierungschefs beim chinesischen Computerhersteller Lienxiang deutet an, dass Kim die völlige Isolation seines wirtschaftlich nahezu bankrotten Regimes beenden will.

Doch schon ist wieder die berühmte nordkoreanische Taktik im Spiel. So will Kim in Zukunft nicht nur auf südkoreanische Hilfe angewiesen sein, die ihm der südkoreanische Präsidenten Kim Dae Jung beim bevorstehenden Gipfeltreffen zutragen möchte, und bringt deshalb Peking mit an den Tisch. Das Spiel kann folglich noch lange dauern.

Nur der nordkoreanischen Bevölkerung kann es nicht schnell genug gehen: Sie hat in den letzten Jahren Unvorstellbares erlitten. Niemand weiß genau, wie viele tausend Menschen am Hunger gestorben sind. Jetzt gibt es immerhin einen kleinen Hoffnungsschimmer: Schon der Blick nach China erscheint aus nordkoreanischer Sicht wie ein Blick ins Paradies. GEORG BLUME