Pariser Platz im Subvisier

Ein kleiner Sci-Fi-Film zu Sicherheit und Schönheit im technischen Zeitalter. In der Hauptrolle: Die Aktion Subvisier®. Die Wundertüte gegen Videoüberwachungstress

Der Pariser Platz im Jahr 2002. Es dämmert, das Flutlicht wird eingeschaltet. Eine Gruppe gut gekleideter TouristInnen lässt sich durch das Brandenburger Tor führen. Wohin sie schauen, es ist alles schwarzweiß. Und alles voller Kameras. Ein Raunen geht durch die Menge: „Aah“, „Ooh“, und „So sieht das also in echt aus!“

Der Fremdenführer positioniert sich. „Hier sehen sie den berühmten Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor – seit der uns allen bekannten Subvisier-Aktion im Jahre 2000 auch als Schwarzweiß-Berlin bekannt. Wenn Sie genauer hinschauen, fallen Sie Ihnen bestimmt die farbigen Aufkleber auf. Darauf ist ist eine Kamera zu sehen und eine Warnung: ‚Dieses Objekt wird videoüberwacht!‘“

Ein Tourist, Mitte fünfzig, gut trainiert und Krawattenträger, hakt nach: „Woher kommen denn all die Aufkleber?“

„Gute Frage, guter Mann. Im Jahre 2000 versuchten Gruppierungen wie die regierende CDU, die Videoüberwachung öffentlicher Räume durchzusetzen. Der Pariser Platz war Teil dieser Bestrebungen. Daraufhin formierte sich eine Gruppe junger Leute, um aus Berlins Mitte heraus auf die Probleme hinzuweisen, die eine derartige Entwicklung mit sich bringen würde. Sie nannte sich – wie die tatsächlichen Institution – Senatsverwaltung für Inneres. Ihre erste Pressemitteilung machte auf neue Unsicherheiten in der Bevölkerung aufmerksam. Ich zitiere: ,Werde ich gefilmt, oder nicht? Sitzt meine Frisur? Habe ich die passende Kleidung an?‘ Bis heute kennen wir nur zwei Angehörige dieser Gruppe: den Layouter Bruce Svenk und den Cheftheoretiker Kai Blinks. Aber auch diese Namen sind, soweit wir wissen, Pseudonyme.“

Ein kleines Mädchen im Prinzesschenkleid fragt: „Und welche Antwort gaben uns die beiden?“ „Nun, eine einfache und geniale Antwort, junge Frau. Svenk und Blinks verkauften einen Umschlag für umgerechnet zwei Euro, auf dem ‚Subvisier‘ stand. Im Innern der Wundertüte befanden sich ein paar Bogen selbstklebenden Papiers. Und eine Diskette, mit deren Hilfe das Klebepapier bedruckt werden kann. Und damit erhielt man genau jene Aufkleber, die wir hier rundum bestaunen dürfen.“

„Wie konnte diese Gruppe denn so mächtig werden?“ fragt ein Jugendlicher im Gehrock. „Heute würden wir ihre Strategie in Anlehnung an die Computer-Sprache als ,Open Source‘ bezeichnen.

In einem der Wundertüte beiliegenden Schreiben hielten die AktivistInnen dazu an, die Dateien zu kopieren und an Bekannte zu verschenken. Als im Herbst vor zwei Jahren die Aufkleber zum ersten Mal geballt auftraten – am Breitscheidplatz – berichteten die Medien über die so genannte Senatsverwaltung für Inneres.

Die Aktion fand bei der Bevölkerung großen Anklang, man kopierte fleißig Dateien und klebte und klebte. Bis die BürgerInnen merkten, dass bisher ja kaum Kameras da waren, hatte der Senat auch schon reagiert.“

„Was heißt das – reagiert?“ fragt der Jugendliche nach. „Der Stand heute: etwa eine Kamera auf fünf Aufkleber. Die rot umrandeten sind die mit der höchsten Auflösung, deshalb sind die Warteschlangen dort auch am längsten. Betrachten sie sich nur einmal das Geschiebe am Hotel Adlon. Lassen sie mich nur noch einige abschließende Worte zu Schwarzweiß-Berlin verlieren. Wie Sie hier sehen konnten, hat die sozial engagierte Künstlergruppe Senatsverwaltung für Inneres mehr als nur ihr vor zwei Jahren formuliertes Ziel erreicht. ,Verschenken Sie ein Stück Sicherheit‘ hieß es damals – Wunsch und Forderung zugleich – im Begleittext zur Diskette. Nein, wenn ich meine Kleidung betrachte und auch die ihre, und meine Frisur und die ihre, dann muss ich sagen: Neben der Sicherheit, gefilmt zu werden, hat uns diese Gruppe etwas ganz anderes geschenkt: die Schönheit, gefilmt zu werden. Dafür können wir der Senatsverwaltung für Inneres nur danken. Und den Herren Svenk und Blinks für ihre Aufgaben als frischgebackene Direktoren der Stadtplanung viel Erfolg wünschen. Hier lang btte.“

Die Touristenschar zieht zur Friedrichstraße. Es ist Nacht geworden. Die Flutlichter lassen den Pariser Platz in vollem Glanz erstrahlen. CHRISTOPH BRAUN

Subvisier® ist eine Aktion der „Senatsverwaltung für Inneres - Abt. Propaganda aus dem Weltraum“. Die Aufkleber-Sets inklusive Diskette und Papierbögen gibt es für 4 Mark bei b_books in Kreuzberg und bei pro qm in Mitte.

Hinweis:Neben der Sicherheit, gefilmt zu werden, die Schönheit, gefilmt zu werden