Hausmannskost für „Herrn Clint“

Gerhard wollte Bill in die vermeintliche Boheme entführen: Der US-Präsident speiste am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg. Die Menge jubelte, als Clinton sein milchvergorenes Kraut mit Knackern aß und „good night“ wünschte

Den Kollwitzplatz kennt jetzt die ganze Welt: Seit der amerikanische Präsident Bill Clinton Donnerstagnacht zu einem Überraschungsbesuch im Restaurant „Gugelhof“ auftauchte, ist Prenzlauer Berg in den Schlagzeilen der Weltpresse: „Berlin’s trendy district“, lobt die amerikanische Nachrichtenagentur AP. Etwas vorsichtiger formuliert es Reuters: „a former Bohemian quarter in Eastern Berlin“.

Wieviel Staatsglamour verträgt ein Kiez, der Anwohner immer mehr an Schwabing erinnert und vor einigen Jahren noch als Szenequartier gehandelt wurde? Das massive Polizeiaufgebot, das den Kollwitzplatz abriegelte, galt keiner Demonstration oder einer Razzia. Die Sicherheitsbeamten waren vielmehr angewiesen, das Abendessen des mächtigsten Mannes der Welt zu überwachen. Im Regierungsviertel Mitte gibt es an jeder Ecke Nobelrestaurants, deren Betreiber sich die Finger danach ablecken würden, einmal solche Prominenz bewirten zu dürfen. Doch die hatten Pech. Der Bundeskanzler wollte seinem Staatsgast echtes Berliner Flair bieten. Die Reservierung wurde für einen „Herrn Clint“ angekündigt. Der Besitzer war ahnunglos und hätte die Reservierung beinahe nicht angenommen, weil die Gäste sich nicht festlegen wollten, ob sie tatsächlich kommen würden.

Der „Gugelhof“, seit Dezember 1995 an der Ecke des Kollwitzplatzes, bietet „Herzhaftes aus dem Dreiländereck Baden/Elsaß/Schweiz“. Clinton entschied sich für die Spezialität des Hauses – „Coucroute Gugelhof“, das ist laut Karte „milchsauervergorenes Kraut mit Knacker, Dampfkartoffeln, Senf“ ist. Nur auf die Blutwurst wollte der Präsidentenmagen verzichten. Von so viel Bekenntnis zu deutscher Deftigkeit waren die anwesenden Gäste, die von dem Besuch nichts ahnten, begeistert. Zwar mussten sie zuvor aufwendige Sicherheitsüberprüfungen über sich ergehen lassen, ihnen war aber gestattet, zu bleiben.

Und als schließlich Clinton persönlich über die Schwelle trat, empfing ihn spontaner Applaus. Auch von den 1.000 Schaulustigen, die sich vor dem Restaurant drängelten, kamen nur vereinzelt Pfiffe oder Buhrufe. Die meisten warteten geduldig die zwei Stunden, die Clinton im Restaurant verbrachte, nur um ihn in die wartende Limousine steigen zu sehen. Seine Botschaft an die wartende Menge: „Good night.“

Der Besitzer der Eisdiele nebenan war auch zufrieden. Die amerikanischen Sicherheitsbeamten, die – Dienst ist Dienst – auf ein Abendessen verzichten mussten, deckten sich bei ihm mit Eis ein. DIETMAR KAMMERER