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Reisen und E-Commerce: Die Reisebranche ist Nutznießer im Netz. Bislang liegen die Buchungen nur bei zwei Prozent, die Tendenz ist jedoch stark steigend. Ein Überblick zu Reiseangeboten, Schnäppchen und Versteigerungen im Internet

von TILL BARTELS

Die Verkaufsrituale der Reisebüros haben sich in diesem Jahr geändert. Zum Beispiel beim Besorgen von Bahnfahrkarten. Nennen wir die Kundin Lara, die ihre Tickets für eine Wochenendreise zu zweit von Hamburg nach Berlin erstehen möchte. Sie geht wie üblich in ein Reisebüro. Als sie an der Reihe ist, erfährt sie, dass sie zusätzlich pro Person eine Gebühr von fünf Mark zu entrichten habe. Warum? „Die Bahn hat uns die Provision gestrichen“, so die knappe Antwort. Dabei wusste sie genau, was sie wollte. An der Tür war sie weder auf einen Hinweis „Beratungsgebühr“ gestoßen noch auf einen detaillierten Aushang im Laden, wie hoch die neuen „Service-Pauschalen“ für eine Reservierung sind.

Noch am selben Abend setzt sich Lara an den PC und gibt die Internetadresse der Bahn in die entsprechende Zeile ihres Browsers ein. Welche Überraschung: Bahnreisen zu Sonderpreisen. Unter dem Motto „Surf & Rail“ wählt sie aus über 250 Verbindungen zwischen 26 deutschen Großstädten ihre Strecke aus, sieht anhand von roten und grünen Signalen, in welchen Zügen noch Sitzplätze frei sind, und bestellt die Fahrkarte per Kreditkarte. Das Ganze nimmt knapp fünf Minuten in Anspruch. Dann leider dieselbe Prozedur noch ein weiteres Mal für die zweite Person. Lara findet das Surf-&-Rail-Ticket – noch während sie online ist – in ihrem elektronischen Briefkasten mit dem Vermerk „Bitte ausdrucken!“

Nebenbei hat Lara auch ein digitales Schnäppchen gemacht: Statt 94 Mark (ohne BahnCard 188 DM) kostet die Hin- und Rückfahrt nur 70 Mark (ohne BahnCard 75 DM) pro Person. Inzwischen hat selbst die schwerfällige Bahn den Zug der Zeit erkannt und das Internet als schnellste Schiene zum Kunden entdeckt. Eine Fahrplanauskunft reicht den Usern nicht mehr, der heimische PC wird zum rund um die Uhr geöffneten Bahnschalter und der eigene Drucker zum Ticketautomaten.

Nicht nur die großen Reiseveranstalter und Fluglinien fahren auf das Internet ab, sondern auch branchenfremde Firmen mischen die traditionelle Reisebranche kräftig auf: Travelchannel von Gruner + Jahr, Expedia von Microsoft oder Traxx von Burda, so heißen einige der im Online-Business etablierten Reisemarken. Mit so genannten Reise-Portalen, der bildschirmgerechten Aufbereitung von Information, Preistransparenz und komfortablen Buchungsmöglichkeiten möchten sie den Weg ins Reisebüro ersparen.

Spätestens mit der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse wurde das Thema Reisen und E-Commerce in den Mittelpunkt der Fachpresse gerückt. Millionen von Mark werden in die digitale Zukunft investiert. Dabei gilt das Internet nicht als Ursache des Wandels, sondern eher als digitales Spiegelbild von Strukturveränderungen der Tourismusindustrie. Die gegenwärtigen Stichworte der innovativen Prozesse lauten: Ertragssteigerung durch optimiertes Yield Management, Senkung der Vertriebs- und Prozesskosten, neue Formen des Kundenbindung und Umsatzsteigerung durch Verdrängung von Mitbewerbern. Als stärkste Schubkraft zur Beschleunigung des Direktvertriebs erweist sich der elektronische Handel via Internet. Denn für den Verkauf im digitalen Medium eignet sich die imaginäre Ware Reisen wie kaum ein anderes Produkt: Die im Tourismus oft extrem lange Linie zwischen Produkt und Konsument wird erheblich verkürzt. Auch werden keine schweren Waschmaschinenkartons zum Kunden geschickt, sondern die materialisieren Buchungen finden in einem Briefumschlag Platz. Ein Geschäft mit großem Erfolg.

Nach Angaben der Financial Times wurden allein in Europa 1999 zwei Milliarden Mark Umsatz mit Reisen im Netz getätigt; die Hard- und Software-Branche brachte es nur auf 1,4 Milliarden, der Web-Buchhandel auf gut acht 800 Millionen Mark. Besonders bei Last-Minute-Reisen gilt das Internet für alle Beteiligten als ideal: Die zeitraubende Kommunikation über Anzeigen in Zeitungen entfällt, denn die Preise sind ständig im Fluss. Angebot und Nachfrage treffen im Cyberspace fast zeitgleich aufeinander.

Als besonders erfolgreich gilt der Marktführer L’tur mit 540.000 Last-Minute-Kunden im letzten Jahr. Regelmäßig überrascht der Anbieter mit runderneuertem Layout und innovativen Funktionalitäten die User. In den ersten drei Monaten dieses Jahres verfünffachte L’tur seine Online-Buchungen, und fast drei Millionen Surfer besuchten im April die Website. Jüngster Einfall der Marketingabteilung ist die „Happy Hour“ im Netz zwischen 12 und 13 Uhr: Dann werden urlaubsreifen Büroangestellten, die am Arbeitsplatz über einen Internet-Zugang verfügen, günstige Reiseschnäppchen praktisch in der Mittagspause angeboten. Und Restplätze, die tagsüber nicht verkauft wurden, sind abends ab 20 Uhr unter www.super-last-minute.de zu haben.

Den virtuell angebotene Flug von Hannover in die Dominikanische Republik ist dann für 464 Mark zu haben – der User spart real. Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung besagt, dass von den 16 Millionen Internetnutzern in Deutschland zwanzig Prozent in den letzten zwölf Monaten Reisen, Tickets und Hotelzimmer online geordert haben, Tendenz steigend.

Wohin der gegenwärtige Trend geht, zeigt Volker Huber, seit kurzem für den Direktvertrieb bei der Lufthansa verantwortlich: „Da immer mehr Haushalte über einen Internetzugang verfügen, haben wir in den ersten drei Monaten dieses Jahres die Hälfte der Vorjahresbuchungen erreicht.“

Schon früh hatte sich die Kranich-Airline mit dem Lufthansa InfoFlyway im Online-Markt positioniert. Durch die regelmäßigen Ticketauktionen an jedem ersten Donnerstag im Monat wurden im letzten Jahr nicht nur 2.900 Tickets abgesetzt, sondern

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auch ein geniales Marketing-Konzept praktiziert: auffallenum jeden Preis. Denn es handelt sich um immer noch seltene Live-Auktionen: Die potenziellen Bieter finden sich in einem virtuellen Auktionsraum zusammen, sehen auf dem Bildschirm sofort jedes neue Gebot und bieten per Mausklick mit – jeder registrierte User kann kostenlos dabeisein.

Über 17 Millionen Zugriffe verzeichnen die Lufthansa-Seiten pro Monat. Darunter fallen die Abfrage aktueller Ankunftszeiten, die der Lufthansa Specials oder des neuesten Meilenstandes auf dem Vielfliegerkonto. „Wir forcieren den E-Commerce als Wachstumsmotor im Direktvertrieb und wollen bis zu 100 Millionen Mark Erlöse damit erzielen“, so Lufthansa-Vertriebschef Thierry Antinori.

Immerhin wurden im letzten Jahr 100.000 Flugtickets über den InfoFlyway verkauft, hinzu kommen weitere 200.000 Buchungen über Online-Reisebüros. Auffallend ist der hohe Anteil von „papierlosen“ Tickets. Dadurch entfällt sogar das Ausdrucken des Flugscheins, der Passagier geht mit seiner Kreditkarte oder Kundenkarte direkt zum Check-in und erhält seine Bordkarte.

Um noch schneller agieren zu können, wurde im März diesen Jahres eine eigene E-Commerce GmbH ausgegründet. Die neue Lufthansa-Tochter bemüht sich auch um die Platzierung von so genannten Microsites in virtuellen Reisemarktplätzen. Mit dieser Shop-in-Shop-Idee werden die wichtigsten Buchungsfunktionen auf den Web-Seiten anderer Anbieter voll integriert.

Einen anderen Weg hat der Ferienflieger LTU eingeschlagen. Die „leicht verderbliche Ware“ von leeren Flugsitzen wird auch über das Netz vertickert: Biet & Flieg heißt die witzige Variante der LTU-Restplatzvermarktung. In fünf Schritten werden in eine Maske am Bildschirm nicht nur Abflughafen, Reiseziel und Datum eingegeben, sondern auch der Preis. Wer allerdings für nur 50 Mark im Düsseldorfer Palma-Shuttle sitzen möchte, geht garantiert leer aus. Das Preisgefüge sollte der User kennen, denn sein Gebot gilt als verbindlich mit einer Pflicht zur Annahme. Die Antwort kommt innerhalb von 24 Stunden per E-Mail. Bei einem Ja werden noch die Steuern und Gebühren addiert. Hinter dieser praktisch auf zwei E-Mails basierenden Auktion steht ein neues Geschäftsprinzip: Der Kunde bestimmt den Preis. Pionier des „costumer-driving pricing“ ist die US-Firma Priceline. Mit Flugtickets, später Hotelzimmern, Leihwagen und Eigenheim-Finanzierungen begann deren Siegeszug. Über zwei Millionen Kunden zählt das Unternehmen, dessen Aktien an der New Yorker Nasdaq zu den Börsenlieblingen gehören. Bei dieser Idee profitieren Händler und Hersteller gemeinsam, sie schaffen individuelle Sonderangebote, ohne das allgemeine Preisgefüge am Markt zu zerstören.

In Deutschland macht damit das Start-up-Unternehmen www.ihrpreis.de Furore. Innerhalb einer Stunde werden die Preisvorstellungen des Kunden zum Anbieter vermittelt, und der allein entscheidet, ob er den Preis akzeptiert. Zu den Reisepartnern des „Wunschpreis-Kaufhauses“ zählen u. a. British Airways, Lufthansa und Eurowings.

Nicht nur in der Werbung, auch im Web gibt Erich Sixt kräftig Gas. Seit kurzem bündelt der Autoverleiher seine Internet-Aktivitäten auf einer umfassenden E-Commerce-Plattform zum Thema Mobilität. Die 350 Mietwagenreservierungen sind nur ein Geschäft von vielen. Seine Vorreiterrolle im Web wird durch die Online-Kalkulation beim Neuwagen-Leasing erneut bestätigt und über Intranet-Lösungen für Firmenkunden beim Fuhrpark-Management mit der „Online Fleet Control“. Das virtuelle Autohaus bietet auch Flugtickets und – wer noch nicht online ist – einen preisgünstigen Internet-Zugang an. Die riesige Gebrauchtwagenflotte des Autoverleihers von mehreren tausend Fahrzeugen wird seit kurzem zum Verkauf über das Internet angeboten. Damit positioniert sich die Sixt-Site vom Start weg als einer der größten Autohändler im Netz. Schon seit Monaten kommen jeden Dienstag ab 19 Uhr gebrauchte Fahrzeuge unter den Hammer.

Auch auf anderen Sites, die Leihwagen anpreisen, mischen die Münchener mit. „Auf den Angebotsseiten ist nicht erkennbar, dass die Produkte von Sixt kommen“, so Jürgen Kohlert von Sixt Travel. Erst bei der Reservierung taucht der Name auf, und der Sixt-Server erkennt automatisch, von welcher Internet-Adresse der Kunde kommt – Grundlage für die Provisionszahlung an den Reisemittler, sei es ein Reisebüro, News-Portal oder eine Banner-Werbung. Vielleicht hat der Surfer den Weg über www.via1.de zum Autoverleiher gefunden, der Website des ersten deutschen Reisekanals im digitalen Fernsehen.

Seit diesem Frühjahr wird die Mischung aus touristischer Information und Emotion über das Breitbandkabel der Deutschen Telekom und über den Satelliten Astra digital ausgestrahlt. „Medienkonvergenz“ lautet das Motto des Shopping-Kanals: die plattformübergreifende Nutzung der Schlüsselmedien TV, Internet und Telekommunikation. Die bunten und bewegten Bilder der Reiseziele haben Einzug in das Wohnzimmer gehalten, 24 Stunden am Tag nonstop. Die Fernsehzuschauer greifen zum Telefon und buchen die Traumreise über ein Call Center. Die Aktiveren merken sich die Angebotsnummer, gehen ins Netz und finden eine individuellere Informationstiefe und -breite vor, können online die Reise reservieren oder eine andere Dienstleistung in Anspruch nehmen.

Die verspieltesten Blüten treibt die neue Buchungswelt nicht auf Bildschirmen, sondern im Display von Mobiltelefonen. Die WAP-Technologie verspricht das „drahtlose Internet“ für die jüngste Handy-Generation. Wie bei allen neuen Hightech-Trends haben die Anbieter als Erstes die Zielgruppe die Technophilen auserkoren, erst später folgen die Geschäftsreisenden und anschießend der Massenmarkt. Man sollte sich allerdings keinen Illusionen hingeben: Die drei Buchstaben stehen nicht nur für „wireless application protocol“, sondern auch für „Warten auf Produkte“. Die speziell für Handys aufbereiteten Internet-Angebote sind begrenzt, die monochromen Textseiten haben nur Briefmarkenformat, und die langsame und teure Datenübertragung von 9,6 Kilobit dämpft jede Euphorie. Da freut sich doch jeder Businessman über die schlichte Kommunikation per Short Message Service, genau wie Teenys während der Pause quer über den Schulhof beamen. Die für ihn personalisierte SMS lautet: „Abflug LH 060 ca. 30 Minuten später, Herr Weber“.

Das Netz wird nicht nur im World Wide Web immer engmaschiger. Überkreuzverflechtungen der Kapitalgeber sind zur besseren Marktabdeckung in der virtuellen Reisewelt en vogue. Kürzlich haben sich der Otto Versand und der Preussag-Konzern, unter dessen Dach die TUI entstand, mit jeweils zehn Prozent an www.ihrpreis.de beteiligt. Und in den USA sind die beiden Platzhirsche der Branche, Travelocity und Previewtravel, enger zusammengerückt. Mit über 20 Millionen registrierten Usern entstand ein neuer Online-Riese.

Die amerikanischen Marktforscher von Bear Stearns prognostizieren, dass nicht nur jeder vierte Reisebüroangestellte seinen Arbeitsplatz verlieren wird, auch die Internet-Reisevermittler müssen Feder lassen, obwohl sich die Umsätze der Travelsites in den USA im Jahr 2003 auf 29 Milliarden Dollar steigern sollen. Nur die Nischenanbieter und die großen Full-Service-Agenturen werden angeblich überleben. Entscheidend für erfolgreiche Dot-Com-Firmen im digitalen Reisemarkt sind die drei strategischen Säulen, die mit einem C beginnen: „Content“ steht für Inhalte; gute Information lockt User auf die Site; nach gelungener Kundenbindung folgt „Commerce“, das Verkaufen, und die „Community“, die Gemeinschaft der Nutzer mit dem virtuellen Wir-Gefühl. Mit Newslettern, einer ausgeklügelten Personalisierung (einmalige Angabe der persönlichen Reisepräferenzen) und Aktionen soll ihnen die regelmäßige Rückkehr auf die entsprechende Seite leicht gemacht werden.

Als Garant gelten auch eine intuitive Benutzerführung und klare Schritte bei der Buchung: zuerst die Anzeige des Gesamtpreises, dann die Verfügbarkeit, der detaillierte Flugplan und am Schluss die Auflistung von Steuern und Gebühren. Die von vielen als unangenehm empfundene Registrierungspflicht sollte erst beim Buchungsvorgang auftreten. Für einen Newcomer auf dem deutschen Markt wie zum Beispiel www.ebookers.de, wo nur der intelligente User nach mehreren Versuchen merkt, dass er nicht Kapstadt oder Köln eingeben kann, sondern nur Cape Town und Cologne, wird die Luft dünn werden. Bill Gates deutsche Reise-Dependance www.expedia.de hat nicht nur einen langen finanziellen Atem, sondern auch Schnelleingabemasken, clevere Suchoptionen und speichert bis zu zehn persönliche Reisepläne.

Noch werden nur zwei Prozent aller Buchungen über das Internet getätigt, so Gerd Hesselmann vom Deutschen Reisebüro-Verband e.V., aber in wenigen Jahren werden es nach Schätzungen bis zu 20 Prozent sein, besonders bei Standardleistungen wie Flug, Hotel und Mietwagen.

Der größten Herausforderung hat sich bisher noch keine deutschsprachige Website angenommen: einen Internet-Service, bei dem Lara nicht die Ortsnamen Hamburg und Berlin ihres Reisewunsches eingeben kann, sondern die konkreten Adressen vom Start- und Zielpunkt ihrer Reise. Bei diesem Door-to-Door-Onlineplaner könnte sie zwischen verschiedenen Verkehrsträgern mit unterschiedlichen Reisezeiten und Preisen wählen und anschließend buchen. Dazu müssen erst noch Routenplaner, die Informationen des öffentlichen Nahverkehrs und verschiedene Computersysteme miteinander verknüpft werden. Die Karlsruher PTV AG sowie die Frankfurter Firma i:FAO sind am Ball. Ende des Jahres wissen wir mehr und wohin uns die virtuelle Reiseplanung in Zukunft dann entführen wird.

Hinweise:Die WAP-Technologie verspricht das „drahtlose Internet“ für die jüngste Handy-GenerationDie bildschirmgerechte Aufbereitung von Information soll den Weg ins Reisebüro ersparen