„Also: Tötet ihn!“

Der exiliranische Verleger Davood Namati vertreibt Salman Rushdies „Satanische Verse“ in Deutschland. Jetzt bekommt er Morddrohungen

von THOMAS DREGER

Das Corpus Delicti kostet 25 Mark und ist pechschwarz. „Die Satanischen Verse“ steht auf dem Deckel des Paperbacks und darunter der Name des Autors: Salman Rushdie. Seit etwa einem Vierteljahr vertreibt der Essener Nima-Verlag den Roman – auf Persisch. Seit fast zwei Monaten bekommt Verlagschef Davood Namati Morddrohungen. „Es wird dazu aufgerufen, diesem Bruder von Salman Rushdie den Garaus zu machen . . . Also: Tötet ihn!“, hieß es Anfang Mai in der von konservativen Kreisen in Teheran publizierten Zeitschrift Dschebhe‚ zu deutsch: Front.

Der Nima-Verlag residiert im Untergeschoss eines Hauses in der Essener Innenstadt. Der 48-jährige Davood Namati lebt seit 16 Jahren in Deutschland, ist mit einer Deutschen verheiratet, will sich nun endlich einbürgern lassen. Schon sein Vater hatte in Iran einen Verlag, benannt nach dem persischen Dichter Nima. Sein Sohn führte ihn weiter, was ihm sowohl zu Schah-Zeiten als auch nach der Revolution im Jahr 1979 Aufenthalte im Gefängnis einbrachte. Der studierte Physiker Davood Namati entschied sich für das Exil.

„Es gibt eine Milliarde Muslime auf der Welt. Und in dem Buch tragen Prostituierte die Namen der Ehefrauen Muhammads“, sagt Namati. Beinahe klingt es, als habe er Verständnis für jene, die den Autor Rushdie und alle, die dessen Werk übersetzen oder vertreiben, am liebsten unter der Erde sähen. Aber dann kommt Namatis Berufsehre ins Spiel: „Ich lasse mir nicht aus Iran vorschreiben, welche Bücher ich verkaufen darf und welche nicht.“ Wenn er zurückziehe, dann habe der Fanatismus gewonnen. „Dann haben auch andere Verleger Angst, aufklärerische Bücher über den Islam und andere Religionen zu vertreiben.“

Mehrfach erhielt Namati telefonische Morddrohungen. „Du wirst zusehen, wie dein Haus und dein Geschäft abbrennen“, musste er sich anhören. Nachdem Unbekannte mehrfach mitten in der Nacht an seiner Tür geklingelt haben, hat ihn die Polizei in Sicherheitskategorie Zwei eingestuft. Etwa stündlich kommt eine Streife vorbei. „Wir nehmen die Bedrohung ernst“, heißt es vom Pressesprecher der Essener Polizei, Uwe Klein. Die Frage, ob der iranische Geheimdienst dahinter stecke, möchte Klein „nicht kommentieren“.

Dabei ist Namati nur Zwischenhändler. In dem Buch finden sich weder Hinweise auf Verleger noch Übersetzer. „Der Verleger ist anonym. Seinen Namen darf ich nicht einmal der Polizei sagen“, erklärt Namati. Er liefere das Buch nur aus. Die Auflage gibt Namati lächelnd mit „sicher einige Tausend“ an. Hauptsächlich werde das Buch unter Exiliranern in Europa und den USA verbreitet. Aber: „Viele Leute kaufen das Buch und schicken es in den Iran. Manchmal merken es die Postbeamten nicht.“

Die mittlerweile von zahlreichen konservativen iranischen Zeitungen wiederholten Morddrohungen gegen ihn führt Namati auf die Iran-Konferenz der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin Anfang April zurück. Die Veranstaltung zum Reformprozess in der Islamischen Republik war von linken Exiliranern beinahe gesprengt und anschließend von inneriranischen Reformgegnern als Vorwand benutzt worden, um die in Berlin anwesenden Reformer nach ihrer Rückkehr zu verhaften. Namati hat anschließend zwei der in Europa verbliebenen Teilnehmer zu Diskussionsveranstaltungen in sein Geschäft eingeladen.

Die Essener Polizei hat dem Verleger geraten, sein Geschäft mit Alarmanlagen und kugelsicheren Fenstern abzusichern. Kosten: 300.000 Mark. Das kann sich Namati nicht leisten. 14 Minuten habe es gedauert, bis nach dem letzten Notruf bei der Polizei – es hatte wieder einmal mitten in der Nacht an der Tür geklingelt – ein Streifenwagen vorbeikam, erinnert sich der Buchhändler, „wir haben vor Angst gezittert“. Polizeisprecher Uwe Klein hat mit Hilfe des Einsatzprotokolls zehn Minuten rekonstruiert und findet auch das noch zu lange. Polizeiintern ist von einer „Riesenpanne“ die Rede.

Der Iranische Schriftstellerverband im Exil fordert inzwischen Bundesaußenminister Joschka Fischer in einem offenen Brief auf, sich bei den Herrschern in Teheran für Namati einzusetzen. Doch eigentlich braucht der Verleger 24 Stunden am Tag Schutz. Schließlich, so Namati, könne jederzeit „irgendjemand mit einer Pistole oder einem automatischen Gewehr“ in seinen Laden spazieren und ihn ermorden. „Der Schwerpunkt des iranischen Geheimdienstes im Ausland liegt in Deutschland“, sagt Namati.

Diese Erkenntnis wird vom Verfassungsschutz geteilt. Iranische Agenten, die nach dem Mykonos-Attentat gegen vier oppositionelle iranische Kurden 1992 in Berlin scharenweise aus der Bundesrepublik ausgewiesen wurden, sind mittlerweile zurückgekehrt. Ihr Auftrag lautet weiterhin: „Infiltration, Ausforschung, Sondierung und, wenn nötig, auch Zerschlagung“ oppositioneller exiliranischer Kreise. So heißt es beim deutschen Verfassungsschutz. Dieses Ziel haben die Spione im Fall Namati auch unblutig schon fast erreicht. Bisher kamen meist über hundert Menschen zu seinen politischen Veranstaltungen. Unlängst waren es noch 15. „Die Leute haben im Moment alle Angst“, meint Davood Namati, „das ist ein Nervenkrieg.“