Nicht alle laufen den Grünen davon

In den nordrhein-westfälischen Dörfern, die dem Braunkohleprojekt Garzweiler II weichen sollen, schwanken die Menschen zwischen Resignation und Widerstand. In den Orten, in denen die Grünen Standfestigkeit zeigen, sind sie stark geblieben

aus Otzenrath und Immerath MARCUS MEIER

Am Ortseingang von Otzenrath, gleich neben dem überdachtem Holzkreuz, steht immer noch das rote Schild mit der Aufschrift: „Ja zur Heimat. Stop Rheinbraun.“ Doch jemand hat den zweiten Satz mit weißer Farbe übersprüht. Kein Wunder: Die Otzenrather haben sich damit abgefunden, dass ihr Dorf dem Braunkohletagebau zum Opfer fallen wird. Kommt Garzweiler II, und sei es in einer abgespeckten Variante, dann muss ganz Otzenrath umgesiedelt werden.

„Es gibt Leute im Dorf, die haben noch Hoffnung, dass Garzweiler II sich für Rheinbraun nicht rechnet“, sagt der Kassierer der Raiffeisenbank. „Doch das sind unter zehn Prozent, im Wesentlichen die Grünen.“ Die Leute, glaubt er, „wollen eine Entscheidung, damit sie Sicherheit haben“.

Otzenrath hat sich seinem Schicksal ergeben, es stirbt langsam aus: Viele Bewohner haben ihre Häuser verkauft, sind in ein benachbartes Dorf, nach Neu-Otzenrath oder ganz weit weg gezogen. Das Tchibo-Geschäft fungiert mittlerweile auch als Zeitungsladen, Post und Postbank. Ansonsten gibt es noch zwei Kneipen, Metzgerei und Bäckerei sowie einen Tante-Emma-Laden. Die Abstimmung mit den Füßen, deren Ergebnis schon feststeht, ist seit Jahren im Gange.

Obwohl die Würfel für Otzenrath bereits gefallen sind, haben die hiesigen Grünen bei der Wahl eines der landesweit besten Ergebnisse erzielt: Rund 15 Prozent wählten hier die Ökopartei, während sie in der umliegenden Gemeinde Jüchen von 11,5 auf 6,1 Prozent der Stimmen absackte. Was wohl mit der Direktkandidatin zusammanhängt – der Tagebaugegnerin Margarethe Mehl, die im Ort wohnt. Sie selbst sagt bescheiden: „Ich hatte einen Heimvorteil.“

Konrad Brentgen steht in seinem Vorgarten und gräbt die Erde um. „Wegen Garzweiler II muss ich zum zweiten Mal ein Eigenheim aufgeben“, sagt er nüchtern. Dennoch ist der Otzenrather für den Braunkohletagebau: weil er Arbeitsplätze schaffe. Und weil die Atomkraft keine Alternative zur Kohle darstelle. Ob Garzweiler II noch scheitern könne? „Ne, das kütt jetzt!“, sagt der Rentner, und setzt einen Pflanzling in die Erde. Er verstehe „den Clement“ nicht, sagt Brentgen: „Man muss sich doch entscheiden: Entweder – oder!“ Und er schimpft auf Bärbel Höhn. Viele hätten „diesmal die FDP gewählt, um die Grünen wegzubekommen“, glaubt der Mann, der 39 Jahre bei Rheinbraun malocht hat.

Ein paar Kilometer weiter werden derweil noch Eigenheime errichtet. Hoffen die Immerather doch, dass die Braunkohlebagger just vor ihrem Ort zum Stillstand kommen? „In Otzenrath wird der Braunkohleabbau wie eine Lawine auslaufen“, glaubt Alfred Ottlik, der Immerather Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Tagebau Garzweiler II. „Aus rein finanziellen Gründen – das rechnet sich für Rheinbraun wegen der Ökosteuer nicht mehr.“

Und doch: In Immerath haben die Grünen gleich zwei Drittel ihrer Wähler verloren. Bei der Landtagswahl 1995 hatten noch 167 Immerather Grün gewählt – knapp 30 Prozent. Vor drei Wochen konnten die Grünen lediglich 53 Getreue an die Urne locken. „Viele Wähler glauben, die Grünen hätten nichts getan“, analysiert BI-Sprecher Ottlik. Zumal, wie der 42-Jährige berichtet, „die grünen Basisaktivitäten vor Ort fast eingeschlafen sind“. Ottliks Urteil über den Juniorpartner der seit 30 Jahren an Rhein und Ruhr regierenden Sozis fällt dennoch differenziert aus: Bärbel Höhn habe sich gut verkauft und Garzweiler II fünf Jahre lang verzögern können. „Doch nun ist politisch nichts mehr zu entscheiden“, sagt der Zahntechniker. Schließlich habe Höhn die wasserrechtliche Genehmigung für Garzweiler II bereits erteilt.

In dem kleinen Zeitschriftenladen von Käte Behr liegen neben der Westdeutschen Zeitung und diversen Illustrierten auch Flugblätter der BI im Regal. „Seit mehr als zehn Jahren werden wir auf die Folter gespannt“, klagt die 69-jährige Frau im weißen Kittel. Und erzählt von dem Rheinbraun-Mann, der in ihrem Laden einkaufte. „Ach, Sie müssen ja auch weg hier“, habe der zu ihr gesagt, „aber sie bekommen ja ein neues Haus und viel Geld.“